Sport

Seit die ersten Sonnenstrahlen den Himmel Wiens zieren, sind die Straßen der Stadt sehr zu meinem Missfallen von unzähligen, auffallend fröhlichen Joggern überflutet. In einem waghalsigen Selbst-Experiment gehe ich dem vermeintlichen Spaß am Sport auf den Grund.
 
Seitdem vor einigen Wochen beinahe sommerliches Wetter in Wien ausgebrochen ist, sind es nicht etwa aufdringliche Zeitungsverkäufer, vergnügt schreiende Kinder oder sich in der Öffentlichkeit küssende Pärchen, die mir den letzten Nerv rauben; nein, dieser Tage sind es glückliche Jogger, die mich furchtbar aufregen und meinen seelisches Wohlbefinden durcheinander bringen. Es stört mich ja gar nicht so sehr, wenn sie keuchend durch die Gassen brausen und alle paar Minuten genüsslich aus ihren Wasserflaschen trinken, als wäre kostbares Lebenselixier darin enthalten. Was mich vielmehr stört, sind die Schuldgefühle, die diese Personen dabei in mir auslösen. Sobald ein Jogger fröhlich grinsend an mir vorbeiläuft, während ich gerade mit einem Big Whopper in der Hand (übrigens nicht minder fröhlich!) die Straße entlang schlendere, kann ich nicht anders, als mir zu sagen „Michael, du könntest aber auch mal joggen gehen!".
 
Als ob diese Gewissensbisse nicht schon schlimm genug wären, haben in meinem Freundeskreis mit Frühlingsbeginn fast ausnahmslos alle begonnen, Sport zu betreiben und mir ihre neuesten Aktivitäten in regelmäßigen Abständen unter die Nase zu reiben. Während es vor ein paar Wochen noch „Kony 2012"-Messages waren, die meine Facebook-Timeline dominierten, sind es nun Botschaften wie „YEAH! Gerade wieder einen 5km-Lauf hinter mir!", die mir Tag für Tag entgegen blitzen und schlimme Schuldgefühle in mir auslösen. Letztens habe ich gegen Mitternacht mit einem Freund telefoniert, als er plötzlich sagte „Du Michael, ich muss jetzt auflegen. Ich gehe noch ins Fitnessstudio!". Ich war entsetzt! Wer geht bitte mitten in der Nacht ins Fitness-Studio? Was ist nur aus „Wein trinken und ,Golden Girls' schauen, bis man einschläft" (oder: „die Michael-Buchinger-Methode") geworden? Ich fühlte mich wie ein Außenseiter. Wann war Sport nur so hip geworden? Gab es einen Newsletter, den ich nicht erhalten hatte? Und warum machte körperliche Anstrengung anscheinend so viel Spaß? Ich musste es herausfinden.
 
Ich sage ja nicht, dass ich Sport hasse und nicht ab und zu auch was für meinen Körper tue, aber es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen mir und meinen Fitness-Freunden: Viele von ihnen betreiben Sport nicht etwa, um in Form zu bleiben, sondern behaupten vielmehr, dass er ihnen „Spaß" bereite. Aber Fitness macht mir nunmal überhaupt keinen Spaß und ich hasse jede Sekunde davon so sehr, dass ich bei meinem letzten Besuch im Fitnessstudio um ein Haar Geiseln genommen hätte. Unlängst erzählte mir ein Freund mit funkelnden Augen, wie sehr ihn sein morgendliches Joggen bereichere, doch ich glaubte ihm seinen erlogenen Nonsens für keine Sekunde. Durch weitere Befragungsmethoden (man stelle sich vor, wie ich mich meinem Freund langsam mit offener Handfläche annähere und Schläge androhe) konnte ich schließlich folgendes Statement aus ihm herauskitzeln: „Okay, ich finde es zwischendurch ziemlich anstrengend, aber mag das Gefühl, wenn es vorbei ist." Ha! Da haben wir mal einen Satz, der mir bekannt vorkommt...
 
Als Opfer des Gruppenzwangs beschloss ich aber, meinen inneren Schweinehund zu überwinden und endlich zu lernen, was am anstrengenden Ausdauersport so toll war. So wälzte ich mich am vergangenen Donnerstag bereits um 7 Uhr morgens aus dem Bett, um mich wenig später an meinem ersten heiteren Morgenlauf zu „erfreuen". Und ich muss gestehen: Inmitten von großteils alten Leuten und einer besonders kessen Joggerin, die zuerst langsam dahin trabte und dann eine Rauchpause einlegte, machte ich sogar eine ziemlich gute Figur. Ich sollte jedoch anmerken, dass ich nicht nur überhaupt keinen Spaß an der Sache fand, sondern mich - als Junge vom Land, der sich in der Stadt überhaupt nicht zurechtfindet - zu allem Überfluss auch noch komplett verlaufen habe. Ich befand mich in einem Teil der Stadt, dessen Existenz ich mir bisher gänzlich unbewusst war und ließ mir außerdem sagen, dass es sicherlich eine Stunde dauern würde, um wieder zurück zu meiner Wohnung zu gelangen. Leicht beschämt muss ich also zugeben, dass ich - sportlich, wie ich nunmal bin - nach meinem ersten Lauf mit der U-Bahn nach Hause gefahren bin.
 
Kann ich im Endeffekt nachvollziehen, warum sich der Großteil meiner Freunde Tag für Tag mit Fitness quält? Zum Teil. Zwar ist körperliche Anstrengung (wie der Name vermuten lässt) natürlich nicht das angenehmste Gefühl der Welt, doch auf alle Fälle eine gute Übung in Sachen Selbstdisziplin. Zudem muss meinem Freund Recht geben: der Moment, in dem ich aufhörte zu joggen und mich erschöpft in die U-Bahn setzte war mit Abstand der glorreichste Augenblick meiner Woche (und für die übrigen Passagiere vermutlich ein sehr verstörender Tiefpunkt). Vielmehr freute es mich jedoch, als einstiger Außenseiter endlich in meinem Freundeskreis mitmischen zu können. So verbrachte ich die letzten Tage großteils damit, länger über meine sportliche Aktivität zu reden, als diese selbst an Zeit in Anspruch genommen hatte; stolz erzählte ich von meiner Laufroute (verschwieg jedoch den U-Bahn-Part), diskutierte angeregt darüber, welche Schuhe sich wohl am besten für einen Waldlauf eignen würden und plane schon voller Elan meine nächste Strecke. Am meisten genieße ich jedoch - wie vermutlich alle Jogger - das freche Privileg, anderen Leuten meine sportlichen Aktivitäten unter die Nase zu reiben und ihnen damit ein schlechtes Gewissen zu bereiten.
 
In diesem Sinne: Betreibt ihr regelmäßig Sport, liebe Leser? Wenn ja, welchen? Und: Bereitet er euch wirklich Freude oder mögt ihr nur das Gefühl, wenn die Anstrengung endlich vorbei ist?

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