Regenbogenparade

Am Samstag, dem 16. Juni 2012, fand in Wien zum 17. Mal die Regenbogenparade, ein politischer Umzug, der sich für die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben einsetzt, statt. Heute erzähle ich, warum ich diese Veranstaltung nicht ausstehen kann.
 
Die Frage, die ich in der vergangenen Woche am häufigsten gehört habe, ist wohl „Michael, gehst du diesen Samstag auch auf die Regenbogenparade?". In gekonnter Manier habe ich als Antwort einfach panikerfüllt „Oh mein Gott, was ist das da hinter dir?" geschrien und bin dann in die entgegengesetzte Richtung gelaufen. Weil ich vermute, dass ich von all meinen schwulen Freunden und vor allem von aggressiven Kampflesben (!) „Judas" genannt, auf brutale Art und Weise verdroschen und dann von einer Klippe geworfen werden würde, gebe ich nur sehr ungern zu, dass ich die Regenbogenparade nicht besuchen werde, da ich sie eigentlich nicht ausstehen kann. Ich finde die Veranstaltung an sich sehr gut, da sie politischen Hintergrund hat und sich für die Gleichberechtigung von Homosexuellen einsetzt. Jedoch finde ich das, was in den vergangenen Jahren aus dem Event gemacht wurde, ein wenig kontraproduktiv.
 
Als ich mich letztes Jahr gemeinsam mit meiner lesbischen Freundin Tabea im Auto auf den Weg nach Wien machte, um erstmals die Regenbogenparade zu besuchen, hatte ich große Erwartungen an das Event. Da ich aus einer Region komme, in der Schwulsein oftmals nicht toleriert wird und ich vermutlich mit Bibeln verkloppt werden würde, wenn ich offen darüber sprechen würde, war es mir eine willkommene Abwechslung, meine Homosexualität zu feiern, anstatt mich dafür zu schämen. Ich hoffte, das Event würde zeigen, dass Schwule eben nicht immer dem Klischee entsprechen, sondern völlig normale Menschen sind, die nicht den ganzen Tag lang Einhörner streicheln und mit Glitzer um sich werfen. Im Vorhinein hatte mir ein Freund gesagt, dass auf der Parade sehr viel Wert auf Kostüme gelegt werde und er selbst als „Regenbogen" gehen würde. Nachdem ich mich kurz in meinen Mund übergeben hatte, beschloss ich, naiv wie ich war, mich ebenfalls dem Klischee hinzugeben und mich als Gag ebenfalls über die Maße schwul anzuziehen: So kleidete ich mich in meiner liebsten Paillettenjacke und einem T- Shirt, welches in Großbuchstaben „LIKES BOYS" verkündete (denn ohne diese Kostümierung hätte wohl nie im Leben jemand erahnt, dass ich schwul bin...)
 
Leider entsprach das Event nicht meinen Erwartungen: Obwohl es als politische Demonstration angepriesen wurde, schien die meisten Leute, mit denen ich gesprochen habe - abgesehen von ein paar sehr aggressiven Lesben auf Motorrädern - nicht politisch interessiert, sondern mehr darauf fokussiert, sich zu betrinken und ein heißes Date für den Abend abzuschleppen. Selbst als einer der wenigen Schwulen in meinem Heimatort fühlte ich mich hier mehr marginalisiert als je zuvor: So gut wie alle Anwesenden (aufgrund meiner Kleidung auch ich) steckten sich selbst in eine Schublade und entsprachen genau jenen Vorurteilen, die es eigentlich zu beseitigen galt. Gerade weil das Ziel der Veranstaltung die Integration von Schwulen und Lesben in die Gesellschaft ist, fand ich sie äußerst kontraproduktiv: Hier wurde scheinbar bewiesen, dass Homosexuelle doch anders sind und einen eigenen Tag brauchen, an dem sie halbnackt die Straße entlanggehen und laut die Songs aus „Glee" hören können. Seufzend beschlossen Tabea und ich, dass die Parade „zu schwul" war (und wenn diese Aussage von mir kommt - dem Jungen, der einst ein Referat über Liza Minnelli gehalten hat -, soll das schon etwas heißen) und machten andere Pläne.
 
Wenn mir eine Party nicht gefällt, gehe ich im Normalfall nach der Michael-Buchinger- Methode vor: Ich betrinke mich so lange, bis ich Spaß habe und alle Menschen in meiner Umgebung gut leiden kann. Da ich aber mit dem Auto in Wien war und später an jenem Tag wieder zurück in meine Heimat fahren musste, war dies aber keine Option. So beschloss ich, stattdessen meinen Kummer mit Backwaren zu bewältigen, während Tabea sich ganz nach meiner Methode einen hinter die Binde kippte. Enttäuscht über die Veranstaltung, dafür aber mit vollen Mägen, machten wir uns allmählich auf den Weg nach Hause, um dort die Geburtstagsparty eines Schulkollegen zu besuchen. Gerade, als ich aus meinem Auto aussteigen wollte, fiel mir auf, dass ich ja nach wie vor meine ultraschwule Paillettenjacke und das nicht sehr subtile Shirt trug. Für einen Moment überlegte ich wirklich, nach Hause zu fahren um mir etwas anderes anzuziehen, entschied mich aber dann doch für ein kleines Experiment: Den ganzen Tag hatte ich in diesem Outfit auf einer kunterbunten Umzug in Wien verbracht, auf dem ich mir aber nicht integriert, sondern völlig ausgegrenzt fühlte. Was also, wenn ich in diesem Aufzug einfach auch auf die Party gehen würde? Würde man mich tatsächlich mit Bibeln verkloppen?
 
Abgesehen davon, dass ich auf jener kleinen ländlichen Feier mehr Spaß hatte, als auf der Regenbogenparade, überraschte es mich, dass ich mich um einiges wohler und zugehöriger fühlte als wenige Stunden zuvor. Mein „LIKES BOYS"-T-Shirt wurde zwar belächelt, doch war es für die meisten Anwesenden wohl in etwa so, als würde Oprah ein „I'M BLACK"-Shirt tragen: Nichts Neues. Endlich fühlte ich mich so, als wäre ich dort, woich hingehörte, trank ein wenig Sekt (diesmal aus Freude, nicht aus Frust) und hatte gegen Ende des Abends sogar die zündende Idee, eine Partyschlange zu starten, bei der wirklich alle mitmachten. Wenngleich die Party kein Spektakel war und sich niemand als Regenbogen verkleidet hatte, machte mich dieser Abend dennoch glücklich: Ich war zwar der einzige Schwule unter mehreren Heterosexuellen, fühlte mich aber - nicht wie auf der Regenbogenparade - dennoch nicht „anders".
 
Aber wie seht ihr denn das, liebe Leser? Was haltet ihr von Events wie der Regenbogenparade, dem Christopher Street Day und anderen?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen