Reality Shows

Pünktlich zu ihrem 41. Geburtstag feierte „Shannen Says", die Reality-Show der Schauspielerin Shannen Doherty, im amerikanischen Fernsehen Premiere und gab mir ausgiebig Stoff, um meine Trash-TV-Sucht zu stillen. Bekenntnisse eines Liebhabers der leichten Unterhaltung.
 
Am vergangenen Donnerstagmorgen kroch ich nur halbwach aus meinem Bett, machte mir erstmal einen Espresso und war dann einen Blick auf meinen Kalender, der mir verriet, dass wir den 12. April hatten. „Oh, Shannen Doherty hat heute Geburtstag!", murmelte ich verschlafen in meinen Bart. Dass mir diese eigentlich belanglose Information so schnell eingefallen war, schockierte mich zutiefst - nicht zuletzt, da ich erst vergangene Woche den Geburtstag meines älteren, am Land lebenden Bruders vergessen hatte, dieses Malheur aber gerade noch einmal mit der (zugegeben erlogenen) Aussage „Ich finde es so unpersönlich, Verwandten übers Telefon zu gratulieren!" retten konnte.
 
Den Großteil meiner Kindheit hatte ich damit verbracht, die toughe Shannen unter anderem in „Beverly Hills, 90210" als Brenda und in „Charmed" als kesse Hexe Prue zu bewundern. An diesem ihrem Geburtstag tat sich mir jedoch ein großes Fragezeichen über meinem Kopf auf: Was tat Shannen eigentlich jetzt? Nachdem sie im Showgeschäft eher als „schwierig" bekannt war und beide oben genannten Serien frühzeitig verlassen hatte, war es in den letzten Jahren, abgesehen von ein paar TV-Filmen, eher ruhig um sie geworden. Eine schnelle Google-Suche lieferte mir jedoch die Antwort, die ich mir eigentlich selbst hätte denken können: Shannen tut jetzt genau das, was alle anderen Prominenten, die anderswo keine Arbeit finden können, tun - sie hat ihre eigene Reality- Show.
 
Ich würde an dieser Stelle ja gerne so tun, als würde ich Reality-Shows absolut verachten und stattdessen meine Freizeit lieber damit verbringen, auf einer Picknickdecke im Park zu sitzen und mir bei einer Tasse Tee russische Literatur zu Gemüte zu führen, während ich nebenbei einen Zauberwürfel nach dem anderen löse, doch dem ist leider nicht so. Ich bin nicht nur leidenschaftlicher Fan der Serie „Keeping Up With The Kardashians", sondern verfolge u.a. auch die Abenteuer von Tori Spelling, Comedy-Ikone Joan Rivers, Star- Stylistin Rachel Zoe und Country-Liebling Shania Twain in ihren jeweiligen Reality-Shows. Und sobald das Dschungelcamp im Fernsehen kommt, ist es ohnehin zwecklos, mit mir in Kontakt treten zu wollen, da ich sämtliche Anrufe nur mit der rätselhaften Frage „Was geht los da rein?" entgegennehme.
 
„Shannen Says", die Serie, welche also neuerdings Shannen Doherty bei ihren Hochzeitsvorbereitungen begleitet, markiert nur die Spitze des Eisbergs meiner Reality-TV-Sucht.Oft stoße ich wegen dieser Vorliebe auf große Kritik in meinem Verwandten- und Bekanntenkreis. Erst unlängst saß die ganze Buchinger-Familie am Esstisch versammelt und lauschte der Erzählung meiner Großmutter, in der es um eine Röntgen-Untersuchung ging, als es plötzlich aus mir herausplatzte: „Oh, einmal bei den Kardashians hat Kim ein Röntgenbild von ihrem Hintern machen lassen, um zu beweisen, dass er echt ist! Ein absoluter Klassiker!". Stille erfüllte den Raum und meine Eltern warfen sich Blicke zu, die sagten „Was haben wir bloß falsch gemacht?". „Du bist doch ein halbwegs intelligenter Junge, Michael, warum siehst du dir solche dummen Sendungen an?", bekam ich dann um ein weiteres Mal zu hören.
 
Ich möchte auch gar nicht behaupten, dass ich dumm bin. Sicher, ich muss jedes Mal nachschlagen, wenn ich das Wort „Rhythmus" korrekt schreiben möchte und verlasse meist phantomartig den Raum, wenn auf einer Party jemand anfängt, sich über Außenpolitik zu unterhalten, aber ansonsten komme ich eigentlich ganz gut durch den Alltag und beherrsche sogar Grundvokabeln in zahlreichen Fremdsprachen, weil ich seit geraumer Zeit neben einer Sprachschule, die über stimmgewaltiges Lehrpersonal verfügt, wohne. Warum finde ich also riesiges Vergnügen daran, an einem Samstagabend zuhause zu bleiben und mir mit einer Tüte Popcorn Dokumentationen über Kinder- Schönheitswettbewerbe anzusehen? Bin ich am Ende etwa doch dümmer, als ich anfangs vermutet hatte?

Es ist ja nicht so, als würde ich, um ein früheres Beispiel zu nennen, Kim Kardashian als mein großes Vorbild ansehen. Noch nie habe ich gesagt „Wenn ich einmal groß bin, möchte ich ein Sextape mit einem afro-amerikanischen Rapper machen, einen Basketballspieler heiraten und mich nach 72 Tagen wieder von ihm scheiden lassen.". Ich würde sogar behaupten, dass die meisten Reality-Stars bewusst als Anti-Vorbilder propagiert werden und denke, dass auch genau darin meine Faszination an den schrecklichen Shows liegt: Neben den Alkoholexzessen der Leute bei „Jersey Shore" wirkt die Party, auf der ich erst den Gastgeber („freundschaftlich") gewürgt und mich im Anschluss über einen Haufen fremder Mäntel übergeben habe, wie ein „friedlicher Abend". Und im Vergleich zu dem grusligen, kühlen Kardashian-Klan mit seinen Botox-Gesichtern,wirkt meine Familie wie die beste Familie aller Zeiten, selbst wenn wir (also ich) manchmal die Geburtstage unserer Geschwister vergessen.
 
Obwohl ich mich für meine TV-Vorlieben ein wenig schäme, habe ich dennoch nicht vor, sie in nächster Zeit aufzugeben. Wie lautet eure Meinung zu trashigen Reality- Shows? Findet ihr sie dumm oder schaltet ihr manchmal doch gerne ein? Und: Welche Sendungen seht ihr euch besonders gerne an?

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