Online-Dating

Mit pochendem Herzschlag näherte ich mich dem Treffpunkt und fing an, mir ernsthafte Gedanken über meine miserablen Lebensentscheidungen zu machen. Warum musste ich mich ausgerechnet mitten in der Nacht mit einem wildfremden Mann an einem eigenartigen Ort treffen? Konnte ich nicht einfach zuhause bleiben und mich in gewohnter Manier bei einer Folge „Golden Girls" in den Schlaf trinken?
 
Kürzlich kam ich zu der Erkenntnis, dass es kaum Dinge auf dieser Welt gibt, denen ich mehr Gefallen abringe, als Online-Dating. Ob es nun auf meine Vorliebe für die Werke von Jane Austen oder meine krankhafte Faszination mit dem Film „Email für dich!" zurückzuführen ist: Moderne Briefwechsel dieser Art haben für mich etwas Romantisches und Aufregendes an sich; als würde man mit Feder und Tintenfass in seinem englischen Landhaus sitzen und nette Briefe an einen entfernten Liebhaber schreiben (obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass Akronyme wie „LOL" und „WTF?" im viktorianischen Zeitalter weniger verbreitet waren). Anfangs dachte ich, ich wäre mit meiner kleinen Besessenheit alleine, doch besonders in den letzten Monaten fällt mir auf, dass ich einen Großteil meiner Freunde auch online finden kann, wo sie nach Dates suchen oder einfach nur „neue Leute kennenlernen" wollen (dies ist in der Regel Code für Penetration). Warum aber greifen immer mehr Menschen auf diese neue, bequeme Art des Datings zurück, anstatt sich einfach unter die Leute zu mischen und auf herkömmliche Weise jemanden kennenzulernen? Haben wir es verlernt, unsere Partner auf „normalem" Wege zu finden?
 
Es ist nicht so, als hätte ich sonderlich große Probleme dabei, Männer kennenzulernen. Meist stelle ich mich einfach in die „Fertiggerichte für einen"-Abteilung des nächsten Supermarktes und werfe mit lüsternen Blicken um mich, was zwar manchmal zu netten Unterhaltungen über Mikrowellen-Gulasch, immer häufiger aber auch zu panischen Ausrufen der Art „Mami, was macht der komische Mann da?" führt. Online-Dating ist für mich jedoch allein aus gesellschaftsforschender Hinsicht höchst amüsant: Hier wird dem User die Chance geboten, eine Scheinfigur zu entwickeln, seine Qualitäten hervorzuheben und die schlechten Eigenschaften tot zu schweigen (launisch? Wer ist hier launisch? Ich sicherlich NICHT!!!!). „Braunhaariger Mann hat großes Ego und eine krankhafte Vorliebe für Waffeln" hört sich schließlich nur halb so gut an wie „Dunkler, selbstbewusster Boy liebt die süßeren Seiten des Lebens!". Begleitet von einem Bild aus dem Jahre 2008, als man volleres Haar hatte und von einem Doppelkinn noch gar keine Rede war, stehen die Chancen, das Interesse anderer User zu wecken, äußerst gut. Das Beste: Man muss nicht mal das Sofa verlassen oder seinen Snuggie ausziehen, um jemanden kennenzulernen.Im Rahmen meines Englisch-Studiums durfte ich erst unlängst einem Vortrag zum Thema „Kommunikation im digitalen Zeitalter" des renommierten Sprach-Wissenschafters David Crystal lauschen. Der Linguist erklärte, dass E-Mails, Instant Messaging und Skype- Unterhaltungen nie einem echten Gespräch gleichkommen würden, da uns die sofortige Reaktion des Gegenübers (zum Beispiel durch Gesten und Gesichtsausdrücke) fehle oder nur zeitverzögert geboten werde. Obwohl dies als negativer Aspekt erwähnt wurde, glaube ich, dass vielleicht gerade darin der Reiz des Online-Datings liegt - die Distanz, die durch das Internet erzeugt wird, bietet Schutz und regt dazu an, ein bisschen offener und direkter zu sein. Immerhin wurde ich in einer Bar noch nie von einem fremden Mann gefragt, ob ich ihm nicht eine von mir getragene Sportsocke zukommen lassen könne (und allein seine Vermutung, ich würde Sportsocken besitzen, schmeichelte mir). Aus diesem Grund dürfte es wohl keine Überraschung sein, dass regelrechte Panikattacken im Hause Buchinger ausbrechen, wenn früher oder später die unvermeidliche Frage „Wollen wir uns nicht mal treffen?" gestellt wird und ich mit einem Schlag aus meinem sicheren Hafen der Online-Distanz gerissen werde. Tausend Gedanken auf einmal schwirren mir durch den Kopf. „Was mache ich gegen diesen Pickel?", „Wie verliere ich 5kg in drei Tagen?" und „Soll ich einen riesigen Hut tragen, damit mein Kopf kleiner wirkt?".
 
So stand ich an jenem Abend also am vereinbarten Treffpunkt und wartete gespannt auf die Ankunft des Users „nacho91" (man merkt vielleicht, warum ich mich zu ihm hingezogen fühle), der mittlerweile schon einige Minuten auf sich warten ließ. Wo war er bloß? Was, wenn er meinen großen Kopf bereits aus der Ferne erspäht und augenblicklich Kehrt gemacht hatte? Ich hätte doch den riesigen Hut tragen sollen. Ich war gerade vollkommen in meine Schwarzmalerei vertieft, als mir von hinten auf die Schulter getupft wurde. Aufgeregt drehte ich mich um. Ja, nacho91 stand tatsächlich vor mir und wenn ich die Augen ein bisschen zusammenkniff, sah er sogar annähernd wie sein Profilbild aus. Ich konnte mir ein erleichtertes Lachen nicht verkneifen; allem Anschein nach war ich doch nicht der einzige, der sich online von seiner besten, aber leider nicht der Realität entsprechenden Seite gab - ich war auf meinen eigenen Trick hereingefallen. So gingen wir - zwei verblasste Versionen unserer sorgfältig konstruierten Online-Persönlichkeiten - in ein nahe liegendes Café und verbrachten, alle Oberflächlichkeiten beiseite gelegt, einen netten Abend miteinander. Mittlerweile sind einige Monate vergangen und wenngleich es zwischen Nacho und mir in romantischer Hinsicht nicht ganz klappen wollte, ist erinzwischen zu einem sehr guten Freund geworden - ich schätze ihn genau so sehr, wie jene Freunde, die ich auf „normalem" Wege kennengelernt habe.
 
Wenngleich es für mich keinen großen Unterschied mehr macht, ob ich jemanden im Internet oder im realen Leben kennenlerne, ist Online-Dating noch immer ein strittiges Thema. Wie steht ihr dazu: Online-Dating - ja oder nein?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen