Nackte Männer

Ein Plakat, das drei völlig nackte Männer auf einem Fußballfeld zeigt, sorgt im Moment für Aufruhr und Diskussionen in Wien. Plakate mit nackten Frauenkörpern dagegen werden als weniger obszön betrachtet. Michael Buchinger geht diesem Gender-Mysterium auf den Grund.
 
Am 19. Oktober 2012 startete im Wiener Leopold Museum die Ausstellung „nackte Männer“ und mit ihr ein kleiner Shitstorm: Denn die Plakate zur Ausstellung, die das Pierre & Gilles-Motiv „Vive la France“ - drei nackte Männer auf einem Fußballfeld - zeigen, sorgten in ganz Wien für Aufsehen und Diskussionen; nun sollen sie mit einem roten Balken zensuriert werden. Zur gleichen Zeit aber sind in der österreichischen Landeshauptstadt Plakate zu einer Klimt-Ausstellung im Kunsthistorischen Museum zu sehen, die eine nackte Frau zeigen und wiederum niemanden sonderlich zu kümmern scheinen. Ein gewisser Kolumnist mit einem nicht zu sättigendem Hunger nach Wissen (und Snackfood) kann daher nicht anders, als sich die brennende Frage zu stellen: Warum sorgt ein nackter Männerkörper für so viel mehr Aufsehen als ein nackter Frauenkörper?
 
Als ich mich am vergangenen Donnerstag am Weg zur Ausstellungseröffnung im Wiener Museumsquartier machte, wartete ich einige Minuten vor „Mr. Big“, einer überdimensional großen Installation von Ilse Haider, die einen liegenden nackten Mann zeigt und ebenfalls auf die Ausstellung aufmerksam macht. Ich hatte scheinbar den perfekten Augenblick erwischt, denn schon Sekunden, nachdem ich mich auf einer Steinbank niedergesetzt hatte, wanderte eine große Kindergartengruppe an der expliziten Nacktheit vorbei und brach beim Anblick des Mannes in schallendes Gelächter und Geschrei aus (was merkwürdigerweise oft auch die Reaktion ist, wenn ich mich entblöße. Wie dem auch sei...) Eine verzweifelte Kindergärtnerin versuchte indessen, diese wilde Meute zurechtzuweisen - und ich zog darauf in Betracht, mir für dieses Spektakel Popcorn und einen Drink zu holen. „Kinder, das ist ein Kunstwerk und kein Grund, so einen Lärm zu machen!“ argumentierte sie schließlich und sehr zu meiner Verwunderung verstummten die Kinder allmählich.
Umso mehr überrascht es mich also, dass eine Gruppe 5jähriger Kinder scheinbar leichter und schneller zu beruhigen ist, als die übrigen Kritiker der „nackte Männer“-Kampagne. „Gehirnlos“, „erbärmlich“ und „pornographisch“ waren nur einige der Kommentare, die das Leopold Museum zu ihren Plakaten erhalten hatte - eine Frau drohte sogar damit, die Werbung eigenhändig zu zensurieren. Deshalb wurde der Entschluss gefasst, lieber freiwillig einen roten Balken über die Penisse der Fußballer zu legen - nicht aber als „Zensur“, sondern als „Fortführung der Diskussion“. Als Mensch, der absolut nichts gegen Nacktheit hat, kann ich daher nicht anders, als mich zu fragen, wie eine Person die männliche Nacktheit so sehr stören kann, dass sie damit droht, eigenhändig 750 Penisse zu übermalen. (Obwohl sich das, nebenbei bemerkt, nach einem ziemlich lässigen Wochenendprojekt anhört) Haben die Menschen denn nichts besseres zu tun? Und was ist nun - in einer Welt, in der in Boulevardzeitungen Tag für Tag (nach dem britischen Trend der „page three girls“) eine nackte Frau abgedruckt ist - so schockierend an einem nackten Mann?
 
Planlos und neugierig beschloss ich zunächst einmal, ganz banal „Warum ist ein Penis schockierend?“ zu googlen. Dabei stieß ich aber nicht etwa auf die Antwort zu meiner Frage, sondern lediglich auf diverse Gesundheitsforen, in denen Männer ihre Penis-Probleme schilderten, die alle anderen User aber wiederum „schockierend“ fanden. Hurtig machte ich mir eine mentale Notiz, den nächsten verregneten Sonntag in einem dieser Foren zu verbringen. Für die Lösung meines eigenen Penis-Problems beschloss ich aber, meine Freunde zu Rate zu ziehen. Auf der Party eines Kumpels lockte ich also diverse Gäste in einen Hinterhalt, um mit ihnen über Genitalien zu sprechen (ja, ich bin die Sorte Partygast, die kommt, den ganzen Wein austrinkt, und dann mit allen Leuten über Penisse plaudern möchte).
 
Während ein Großteil meiner Freunde vorschlug, dass ein nackter Mann einfach nicht so schön und ästhetisch wie ein entblößter Frauenkörper sei, lieferte mir meine Freundin Judith - die sich selbst seit Jahren mit Genderforschung beschäftigt - eine ausführlichere und meiner Meinung nach interessantere Erklärung. Durch Werbung und andere Medien (so zum Beispiel auch die oben angesprochenen „page three girls“) sind wir es unterbewusst gewohnt, dass der weibliche Körper auch abseits der Pornographie in Massenmedien objektifiziert wird - selbst wenn wir diese Objektifizierung nicht unbedingt unterstützen oder gar bewusst wahrnehmen. Dass es nun also der männliche Körper sein soll, der im Mainstream als Objekt zur Schau gestellt wird und durch seine Nacktheit noch dazu uncharakteristisch verletzlich erscheint, ist ungewohnt und - infolgedessen - „schockierend“.
 
Hiermit wäre auch ein weiteres Rätsel unserer Gesellschaft gelöst und ich sehe dies als Anlass, mir selbst ein High Five zu geben. Einem angenehmen und interessanten Museumsbesuch im Leopold steht nun nichts mehr im Wege: „Nackte Männer“ bietet einen großen Überblick über diverse Darstellungen des nackten Mannes von 1800 bis heute und hat definitiv mehr zu bieten, als man ob des Aufruhrs um die provokante Werbung vermuten mag. Von Ölgemälden bis hin zu Penisabgüssen aus Gips und Latex ist es einfach interessant, sich selbst mit dem vermeintlichen Tabu-Thema des entblößten Männerkörpers auseinanderzusetzen und die eigenen Schönheitsideale auf die Probe zu stellen. Vorausgesetzt, man kann es auch tatsächlich verkraften, einen nackten Mann zu sehen. Aber wie es eine weise Kindergärtnerin ja einst so treffend formuliert hat: „Das ist ein Kunstwerk und kein Grund, so einen Lärm zu machen.“

Jetzt seid ihr gefragt, liebe Leser! Sind die „nackte Männer“-Plakate eurer Meinung nach tatsächlich zu provokant, oder aber völlig akzeptabel?

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