Lady Gaga

Am vergangenen Samstag, 18. August 2012, besuchte ich das Lady Gaga Konzert in Wien und machte mir Gedanken über die Kritik einer Freundin, die in der Sängerin nichts weiter als eine laienhafte Nachahmerin sieht.

Als ich in meinem Freundeskreis ankündigte, dass ich das Lady Gaga Konzert besuchen würde, hätten die Reaktionen unterschiedlicher nicht sein können. Die einen zeigten sich begeistert, die anderen verwirrt: „Du warst doch erst am Madonna-Konzert! Bist du denn im Team Gaga oder im Team Madonna?". Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass ich nicht sonderlich viel von dieser lächerlichen Debatte halte - ich bin im Team Michael Buchinger; ein Team, in dem wir mehrere Künstler toll finden können und Konflikte lösen, indem wir unseren Kontrahenten mit voller Wucht gegen das Schienbein treten und dann davonlaufen. Schließlich aber traf ich mich mit meiner etwas älteren Freundin Martina zu Mittag in einer Pizzeria, und musste mich auf eine ganz andere Reaktion gefasst machen. „Oh, am Samstag gehe ich auf das Lady Gaga-Konzert!", erzählte ich ihr aufgeregt zwischen den Bissen meiner Quattro Formaggi und wurde daraufhin mit einem Blick gemustert, als hätte ich gerade gesagt, dass für Samstag ein Picknick im Park mit Lord Voldemort und seiner Schlange Nagini auf der Tagesordnung stand.

„Wie kannst du diese schreckliche Lady Gaga nur mögen? Ich hasse die!", bemerkte Martina mit wütendem Unterton. Okay, wenn in jenem Moment nicht spitze Gabeln und Messer in bequemer Reichweite gewesen wären, hätte ich mich, da ich Gaga-Fan bin, auf eine Diskussion mit Martina eingelassen und gegebenenfalls mit Essig auf ihre Augen gezielt. Aus Sorge, dieser harmlose Lunch könne in eine Messerstecherei ausarten, bewahrte ich stattdessen Contenance. Dennoch konnte ich mein Gegenüber überhaupt nicht verstehen und stellte ihr stattdessen eine Gegenfrage: Wie kann man Lady Gaga - eine Person, die nicht nur halbwegs gute Musik macht, sondern sich vielmehr für Akzeptanz und Gleichberechtigung einsetzt - nur hassen?

Um ehrlich zu sein rechnete ich mit einer oberflächlichen Antwort wie „Weil ich in der Zeitung beim Frisör gelesen habe, dass sie einen Penis hat!", doch wurde stattdessen mit einer ausführlichen Erklärung konfrontiert: „Michael, nichts, was Lady Gaga tut, ist sonderlich innovativ. Kannst du dich erinnern, als sie als Mann aufgetreten ist?" Ich nickte; diese Figur - Jo Calderone - war seitdem der alleinige Inhalt meiner feuchten Träume. „Annie Lennox hat das gleiche vor 25 Jahren getan. Oder als Gaga als Meerjungfrau im Rollstuhl die Bühne stürmte? Bette Midler tut das seit den 80ern! Die Liste ihrer Nachahmungstaten ist endlos, von dem Vorbild, das sie sich an Madonna nimmt ganz zu schweigen. Sie nimmt einfach das Beste aus den letzten 30 Jahren der Musikgeschichte und verkauft es als ihr eigenes Gedankengut. Und ja, ihre Philosophie, sich selbst und andere zu akzeptieren, ist zwar schön und gut, aber wiederum furchtbar alt und simpel. Sie hat all diese Dinge nicht erfunden, sondern sie einfach nur gestohlen und zum Mainstream gemacht. Naive, junge Fans wie du merken das nur nicht."

Einerseits erbost, dass Martina ein Konzert schlecht machte, auf das ich mich schon seit Monaten freute und andererseits geschmeichelt, dass sie mich jung genannt hatte, musste ich mir nach ein bisschen Recherche eingestehen, dass meine Freundin grundsätzlich recht hatte. Lady Gaga nimmt z.B. Denkweisen, die in jeden zweiten Selbsthilfebuch zu finden sind, offenbart sie der breiten Masse und wird dafür gefeiert, als wäre sie eines abends in ihrem Penthouse gesessen, hätte aufgeregt in die Hände geklatscht und gerufen „Ich hab's! Die Leute sollten sich selbst lieben und einander akzeptieren!". Ja, wir alle schmücken uns manchmal mit fremden Federn - ich persönlich war in meiner Schulzeit dafür bekannt, bei Referaten einfach nonchalant einen ganzen Wikipedia-Artikel samt Fußnoten vorzulesen und als Quelle „Google" anzugeben. Aber treibt Lady Gaga es etwa zu weit? Ist die Sängerin nur eine Nachahmerin und wird von ihren „little Monsters" zu unrecht vergöttert? Antworten auf all diese Fragen sollte ich am 19. August in der Wiener Stadthalle finden.

Über eine Stunde nach der Vorband kam Lady Gaga auf einem mechanischen Einhorn auf die Bühne geritten - böse Zungen munkeln, sie wäre Backstage gestanden, habe mit dem Fußballen ungeduldig auf den Boden getappt und mit einem Blick auf ihre imaginäre Armband-Uhr wiederholte Male den Satz „Madonna hat die Wiener eine Stunde und fünf Minuten warten lassen, also werde ich sie MINDESTENS eine Stunde und sechs Minuten warten lassen!" gesäuselt. Ohne zu viel über die Show zu verraten, muss ich sagen, dass ich es immer störend finde, wenn Lady Gaga hinter ihren toughen Kostümen und Kopfbedeckungen nicht wirklich zu erkennen ist - ich bekomme da immer das Gefühl, dass sich hinter dieser Verkleidung genauso gut ein besonders kluges Äffchen befinden könnte. Gebannt wartete ich auf den Moment, in dem sie endlich ihre Panzer-artigen Roben abnehmen und ein wenig authentischer wirken würde. Dieser Augenblick ließ nicht lange auf sich warten und wurde von einer spontanen, wenngleich irrsinnig selbst-definierenden Aussage seitens der Popsängerin begleitet, die zusammenfasst, was ich an ihr schätze. Die Tiara des Stars hatte sich gerade in einem Motorrad verfangen - während Gaga versuchte, die Krone zu befreien, drehte sie sich mit schelmischem Blick zum Publikum: „Don't you just hate it when your crown gets stuck in your motorbike? I hate when that happens."

Lady Gaga wirkt auf mich wie eine traditionelle, alte Seele mit goldener Tiara, im Körper einer toughen, provokanten und oftmals unerhörten Frau, die auf einem Motorrad durch die Gegend rast. In der einen Sekunde hängt sie noch blutverschmiert von der Bühne der VMAs, in der nächsten swingt sie schon wieder mit Tony Bennett in einem feierlich dekorierten Festsaal herum und tanzt im Anschluss wie ein kleines Kind auf den Straßen New Yorks zu „When the Saints Go Marching In". Das tut sie mit so viel Leidenschaft und Authentizität, dass man das Gefühl bekommt, sie könne selbst ohne skurrile Kleidung oder imposanter Choreographie für Furore sorgen, indem sie einfach lauschige Cabaret-Shows im Keller einer verrauchten Bar spielt. Von Plagiatsvorwürfen mal ganz abgesehen, finde ich es in einer Welt, in der uns Flo Rida im Radio den Befehl „Blow My Whistle, Baby" gibt, gar nicht so schlecht, wenn Lady Gaga - sei es nun „Gedankenraub" oder „Hommage" - auch jüngeren Generationen solche Größen wie Annie Lennox oder Tony Bennett näher bringt. Ich wünschte, ich hätte auch Martina all diese Dinge erklären können. Doch ich machte mir stattdessen eine gedankliche Notiz, ihr bei Gelegenheit mit voller Wucht gegen das Schienbein zu treten.

Wie lautet eure Meinung zu Lady Gaga, liebe Leser? Keine Sorge, ich werde versuchen, möglichst wenige Leute zu treten.

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