Kleider machen Leute

...und Kleider machen auch, dass dich gewisse Personen auf die offene Straße schubsen. Diese Woche verkaufte ich den Großteil meiner Kleidung auf einem Flohmarkt, doch bevor ich das tat, reflektierte ich noch darüber, was mir gewisse Kleidungsstücke bedeuteten.

Als ich noch ein kleines Kind war, konnte ich zwei Dinge partout nicht verstehen: Alkohol und Mode. (Ja, liebe Leser: Sehr viel hat sich seitdem verändert) Es schien mir unbegreiflich, dass meine große Schwester das Gros ihres Taschengeldes stets für Kleidung ausgab. Sie hatte doch bereits einen ganzen Kasten voll von T-Shirts, Kleidern, Röcken, Hosen usw. und damit definitiv genug, um jeden Tag für die nächsten zwei Monate etwas anderes tragen zu können. Dennoch unternahm sie regelmäßige Trips in die Shoppingmeilen der benachbarten Kleinstadt, um noch mehr Kleidung zu kaufen. Wozu das alles? Wie konnte man nur so viel Zeug brauchen? Gut 15 Jahre später sitze ich den Tränen nahe in einem Haufen von unsortierten Kleidungsstücken, die nicht mehr in meinen Kasten passen, und stelle in Frage, ob 9 Uhr Vormittag wirklich zu früh für ein Glas Gin ist. Welche dieser Stücke sollte ich bloß auf dem mir am Samstag bevorstehenden Flohmarkt verkaufen? Welche sollte ich behalten? Das Blatt hatte sich gewendet und das Schicksal mich eingeholt: Der einst so unbegreiflich wirkende Kleider-Fluch lastete nun auch auf mir.

70% der E-Mails, die ich erhalte, beinhalten Fragen über meine Kleidung (die anderen 30% sind, nebenbei bemerkt, Angebote für Penisverlängerungen - und kein einziges hat funktioniert...). Wieso ziehe ich mich so merkwürdig an? Wo kaufe ich meine Kleidung? Stehle ich sie etwa bewusstlosen Drag-Queens, die ich nach der Pride Parade in meiner Gegend finde? Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass mein ausgefallener Kleidungsstil auf meine Mutter zurückzuführen ist (Freud lässt grüßen!). Im Alter von 13 Jahren war ich mit meinen Eltern in Paris, als mir Mama ohne sonderlich viel zu fragen mein erstes Shirt mit tiefem Ausschnitt kaufte. Schon am nächsten Tag trug ich es über einem Polo-Hemd zum Tee. „Gut siehst du aus,“ flüsterte mir meine Mutter ins Ohr „aber vielleicht solltest du das Shirt mal ohne dem Hemd tragen!“. Gesagt, getan, und am selben Abend erschien ich mit tiefem Ausschnitt zum Abendessen. Die französische Madame am Nachbartisch starrte während ihres 3-gängigen Menüs fast die ganze Zeit in mein Dekolleté und das fand ich witzig. Hier war ich: Ein 13jähriges, männliches Mauerblümchen, dass nun tatsächlich einmal beachtet wurde. Dieses Shirt besitze ich bis zum heutigen Tag: Ich passe zwar nicht mehr rein, aber ich hebe es trotzdem auf.

Dass mir meine Mutter damals zuflüsterte, ich solle mich mal auffälliger kleiden, war in etwa so, als hätte mal jemand zu Charlie Sheen gesagt „Hey Charlie, sei mal ein bisschen lockerer! Nimm doch ein bisschen Koks!“. Ein Feuer wurde entfacht. Es machte mir irgendwie Spaß, die Blicke anderer Menschen auf mich zu locken und man könnte behaupten, dass ich es schon bald ein bisschen zu bunt mit meiner Kleiderwahl trieb. Nicht immer stieß ich auf Applaus, wenn ich in einer funkelnden Jacke in der Dorfdisko aufkreuzte (ich wünschte übrigens generell, die Leute würden applaudieren, wenn ich einen Raum betrete. Kann sich bitte jemand darum kümmern?), aber es war mir ein witziges Projekt geworden, die Grenzen der gesellschaftlichen Akzeptanz zu testen. Nicht immer ging das heiter aus.

Vor ein paar Jahren ging ich mit meinem damaligen Freund, der sich noch ausgefallener kleidete als ich (Ja! Es ist möglich!), die Straße entlang, als er von einer Gruppe älteren Passanten angepöbelt wurde. Ich möchte nichtmal wiedergeben, was sie gesagt haben und es ist auch gar nicht so wichtig. Jedenfalls habe ich mich mit meinen damals 17 Jahren ein bisschen überschätzt und eine meiner typischen, bissigen Bemerkungen zurückgefeuert...woraufhin ich von einem der Typen mit voller Wucht auf die Straße gestoßen wurde. Es schien mir so lächerlich, dass er sich allen Ernstes aufgrund eines Stück Stoffes prügeln wollte, das dem Rowdy scheinbar absolut den Tag vermiest hatte. Spätestens in jenem Moment lernte ich, dass Kleidung eben doch nicht „nur Stoff“ ist, sondern durchaus heftige Reaktionen bei anderen Menschen auslösen kann. Da wir uns glücklicherweise mitten auf der größten Einkaufsstraße Wiens befanden, hatte ich bereits Sekunden nach dem Schlag eine Armee an freundlichen Fremden hinter mir, die mir zu Seite standen, sodass sich unser Gegner schnell aus dem Staub machte. Ganz abgesehen davon, dass es mir egal ist, was die anderen Leute von meiner Kleidung denken, kann ich das Outfit jenes Tages einfach nicht mehr anziehen, weil ich zu viele negative Erinnerungen damit verbinde. Entschlossen lege ich es auf den „Verkaufen“-Stapel.

So mache ich den ganzen Tag weiter und der Stapel mit den Dingen, die ich auf dem Flohmarkt verkaufen werde, wird größer und größer. Klar, als alter Nostalgiker muss ich einige Sachen, die ich mit guten Erinnerungen verbinde, behalten: Hierzu zählen schnulzige Outfits von schönen ersten Dates und anderen persönlichen Errungenschaften. All jene Kleidungsstücke, die ich mit schlechten Erinnerungen wie der obigen assoziiere (oder aufgrund meiner Vorliebe für Frittiertes einfach nicht mehr tragen kann...), lege ich auf den „Verkaufen“-Stapel. Während ich nach und nach alles Überflüssige aussortiere und nur die wenigen Dinge behalte, die mir auch tatsächlich etwas bedeuten, bekomme ich den Eindruck, als würde ich auch meine „merkwürdige“ Kleidung mittlerweile nicht mehr brauchen, um mich beachtet zu fühlen. Ha ha, Triumph! Wenn ihr diese Kolumne also lest, meine lieben, werde ich bereits mit einem Glas Gin in meiner entrümpelten Wohnung liegen und bereit für einen modischen, sowie geistigen Neuanfang sein.

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