Hunde

Auf den Hund gekommen: Heute erzähle ich euch die Geschichte von der Zeit, in der ich mehr oder weniger eine Beziehung mit einem Vierbeiner führte.
 
Als ich ein kleiner Junge war, wollte ich nichts lieber als einen Hund. Kaum ein Weihnachtsfest verging, an dem ich nicht groß „HUND" auf meinen Wunschzettel schrieb und beim Scrabble-Spiel versuchte ich stets zwanghaft, das Wort „HUND" mit meinen Steinchen zu legen. Andere Male fielen meine Hinweise weniger subtil aus, wie der Tag des großen Dorffestes, an dem ich beschloss, so oft das Wort „Hund" zu sagen, bis irgendjemand in meinem Dorf mir endlich einen schenken würde (was nur zur Folge hatte, dass unter vorgehaltener Hand über mich getuschelt wurde: „Sieh nur an, da ist dieser zurückgebliebene Buchinger-Junge. Er kann sich nur mit dem Wort ,Hund' verständigen. Diese arme Familie."). Doch meine Eltern blieben hartnäckig: Ein Vierbeiner würde uns sicher nicht ins Haus kommen. Später sollte ich erfahren, dass mein Vater als Kind einen Hund hatte, der von einem Nachbarn überfahren wurde. Dies war in der Tat eine tragische Geschichte, doch war mir schier unbegreiflich, warum ausgerechnet ich für dieses Unglück büßen musste. Das ist genau so, als würde ich meinen Kindern mal den Genuss von Roastbeef verbieten, nur weil ich nach dessen Verzehr einmal den Großteil der Weihnachtsfeiertage würgend am Badezimmerboden verbracht habe.
 
Mehr als ein Jahrzehnt später hatte ich meinen einstigen Hundewunsch schon so gut wie vergessen, als ich Toto begegnete. Nach einem ermattenden Uni-Tag im späten Herbst, an dem es mir gelungen war, gleich zweimal Kaffee über meine Kleidung zu verschütten, stieg ich mit dem größten Menschenhass aller Zeiten in die U-Bahn ein, die sehr zu meiner Missgunst voll von Menschen war (es sind Moment wie diese, in denen es besser für das Allgemeinwohl ist, dass ich selten Schusswaffen bei mir trage). Der einzig freie Sitzplatz fand sich neben einem älteren, blonden Jungen, auf dessen Schoß ein kleiner, brummender Beagle mit den süßesten schwarzen Augen, die ich je gesehen hatte, ruhte. All die unbefriedigten Sehnsüchte meiner Kindheitstage kamen in einem Sprudel der Gefühle in mir hervor - plötzlich war ich wieder auf dem Dorffest und wollte laut „HUND!" schreien! Stattdessen beschloss ich aber, mich wie ein Bekloppter mit dem Vierbeiner zu unterhalten: „Na, du bist aber ein ganz ein süßer Hund! EIN GANZ EIN SÜSSER! Wie heißt du denn?". Da der Hund mir unschwer antworten konnte, übernahm sein Herrchen diese Aufgabe. „Das ist Toto. Ich heiße Fabian.", sagte er mit einem charmanten Lächeln. Und so nahm das Unheil seinen Lauf.
 
Es war keine zwei Wochen später, als ich bereits meine dritte Verabredung mit Fabian hinter mir hatte. Einen Hundebesitzer zu daten stelle ich mir ein bisschen so vor, wie ein Verhältnis mit einem Mann zu haben, der bereits Kinder hat: Wenn die Kinder einen nicht mögen, kann man genauso gut wieder Leine ziehen ("Leine", versteht ihr? Man lobe bitte mal den Wortwitz meiner Kolumnen!). Glücklicherweise hatte ich schon bei einem Ausflug im Park das Toto-Gütesiegel erhalten, als der Hund meine Finger geleckt und danach zufrieden auf meiner Schoß eingeschlafen war (vermutlich deswegen, weil ich kurz zuvor Spareribs mit bloßen Fingern verzehrt hatte). Dass Fabian schon nach der fünften Verabredung selten Zeit für mich hatte, weil er sich im Prüfungsstress befand, stimmte mich zwar traurig, doch bald lernte ich, das beste aus dieser Situation zu machen. Verständnisvoll besänftigte ich ihn und sagte nicht ganz frei von Hintergedanken: „Oh, du Armer! So viel Stress! Wenn du möchtest, kann ich ab und zu mit Toto Gassi gehen!".
 
In der Tat hatte ich große Freude daran, den Hund mit auf meine Spaziergänge zu nehmen, da er geradezu ein goldenes Ticket für soziale Interaktionen war: Überall, wo wir hingingen, lenkte Toto die Aufmerksamkeit auf sich und entzückte alle Anwesenden, die sich sofort auf den Boden warfen, um sie zu streicheln (und ja: Ich mag es, wenn sich fremde Leute vor mir zu Boden werfen). Leute, die mich ohne Hund nicht mal eines Blickes würdigten, waren exponentiell freundlicher zu mir, sobald sie in die großen, schwarzen Augen meiner Begleitung blickten. Aber war das in etwas auch der Grund, warum ich damals Fabian angesprochen hatte? Nichts konnte man dem Tier übel nehmen: Auf einem unserer Trips verrichtete Toto sein großes Geschäft mitten in einem Kaufhaus, doch anstatt uns hochkant vor die Tür zu setzen, taten die Verkäufer regelrecht so, als hätte sie wohlduftende Körperlotion von LUSH aus seinem Anus gepresst. „Kann doch mal passieren!" und „Wenn man muss, muss man!" wurde uns lachend hinterhergerufen, als wir nach Hause gingen.
 
Schließlich kam es, wie es kommen musste: Während einer unserer seltenen gemeinsamen DVD-Abende erklärte mir Fabian freundschaftlich, dass er keine Lust mehr hatte, unser Verhältnis weiterzuführen. Ich hätte vermutlich verletzt sein sollen, doch musste ich in jenem Moment geschockt feststellen, dass mein erster Gedanke während dieser Konfrontation nicht „Oh nein, ich verliere Fabian!" sondern „Oh nein, was wird nur aus mir und Toto?" war. In diesem Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich führte eine Beziehung mit dem Hund meines Freundes. Ich musste lachen (immer eine gute Reaktion, wenn jemand Schluss macht!) - natürlich hatte ich Gefühle für Fabian,dennoch stellte sich mir die unvermeidliche Frage: Hatte ich die vergangenen Monate allen Ernstes mit einem Typen verbracht, der offensichtlich kein Interesse an mir hatte, nur weil ich mir durch seinen Hund einen Kindheitstraum erfüllen wollte? Ja, das hatte ich und ich gebe meinen Eltern die volle Verantwortung dafür.
 
Bitte, liebe Leser, rammt einen Dolch in mein Hunde-verliebtes Herz und verratet mir in den Kommentaren, ob ihr selbst süße Haustiere besitzt. Wie heißen sie, wie alt sind sie und: Darf ich euch daten?

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