Hipsters

Noch immer Hipsters? Ja, noch immer Hipsters! Nach einem fatalen Happening auf einer Tanzfläche überlegt Michael, warum das Kulturphänomen „Hipster“ einfach nicht verschwinden will.

Es war vor einigen Monaten, als ich gerade auf der Tanzfläche einer Party stand, für die ich ohne Zweifel zu uncool war. Die minimalistische Musik, sowie ... deuteten darauf hin, dass es sich um ein Hipster-Event handelte, und das war völlig okay für mich. Nicht nur hatte ich einst einen Artikel geschrieben, indem ich diese Szene-Menschen verteidigte; nein, in dieser Runde konnte ich mich auch ohne Bedenken des einzigen Tanzmoves, den ich beherrsche („der Roboter“), bedienen und ihn später als „ironisch“ abstreiten. Da Robert, meine Begleitung, sich vor einiger Zeit verabschiedet hatte, stand ich nun alleine auf der Tanzfläche und war gerade dabei, meine mechanischen Bewegungen mit passenden Geräuschen zu untermalen, als ich Kat - eine Freundin von Robert - entdeckte. Sie ist ein echtes Hipster-Girl, wie es im Buche steht, „Redakteurin“ bei ihrer eigenen Webseite (was - unter uns - ein Euphemismus für „arbeitslos“ ist) und heißt in Wirklichkeit eigentlich „Renate“. Erfreut, endlich ein bekanntes Gesicht zu sehen, eilte ich schnell zu ihr rüber und begrüßte sie. Nach meinen Grußworten sah mich Kat entgeistert an: „Und du bist?“, fragte sie ein wenig unhöflich und ich erläuterte, dass ich ein Freund von Robert sei. Das Hipster-Mädchen sah mich noch immer fassungslos an. „Du tanzt wie ein Behinderter!“, sagte es schließlich, lachte schallend und verschwand wieder in der Menge an kichernden Beobachtern.

Oh no, she didn‘t! Eine verbale Ohrfeige, die saß. All die Zeit lang hatte ich mich im Glauben befunden, auf der guten Seite der Hipsters zu stehen: Ich mochte ihren Kleidungs-Stil, manchmal auch die Musik und war dafür bekannt, Szene-Leute sogar aufbrausend vor meinen Freunden zu verteidigen, wenn diese wiedermal Dinge wie „Boah Michael, wie kannst du es nur aushalten, auf die Partys von solch pseudo-elitären Menschen zu gehen?“ sagten („Es gibt guten Hummus!“). Doch nun hatte ich die schlechte Seite der Medaille kennengelernt und fühlte mich zum ersten Mal der „Ich bin cool, du bist es nicht!“-Verachtung ausgesetzt, vor der mich meine Freunde gewarnt hatten. Sicher verdreht der ein oder andere Leser mittlerweile schon längt seine Augen: „Wirklich, Michael? Eine Kolumne über Hipsters? Wurde dieses Thema nicht schon zigmal durchgekaut?“. Doch genau das ist mein Punkt: Hipsters sind die wie diese Party-Gäste, die noch immer da sind, obwohl man sich als Gastgeber schon längst den Pyjama angezogen, sowie die Nacht-Zahnspange reingegeben hat und eigentlich nur noch auf die Wiederholung von „Der Bachelor“ wartet. Warum existiert diese Stil-Richtung nun schon so lange, anstatt sich allmählich auf dem Friedhof der Kultur-Phänomene neben Emos, Crocs und Paris Hilton zu Grabe zu legen?

(Ich verwende den Begriff „Hipster“ hier übrigens recht negativ, meine aber nicht die Leute, die gerne Jutebeutel tragen und Platten hören. Leben und leben lassen! Stattdessen benutze ich den Begriff hier eher für jene Menschen, die von sich selbst glauben, das Größte seit der Erfindung der Bratkartoffel zu sein, weil sie es geschafft haben, sich eine Webseite im Internet einzurichten)

Erst Wochen später sollte ich zufällig auf meine Antwort stoßen. Ich blätterte gerade lieblos in dem Buch „Cultural Theory and Popular Culture“ von John Storey, welches ich für mein Studium lesen sollte, als mir ein interessanter Satz ins Auge fiel: Im Jahr 1990 war es Luciano Pavarotti gelungen, die Arie „Nessun Dorma“ an die Spitze der britischen Mainstream-Charts zu bringen und damit die Barriere zwischen „Hochkultur“ und „Popkultur“ zu brechen. Mehrere Liebhaber klassischer Musik gaben daraufhin naserümpfend an, die Arie nicht mehr zu mögen, weil sie nun „populär“ geworden war. Genervt verdrehte ich meine Augen und rief laut „Solche Hipsters!“, was ein bisschen eigenartig war, angesichts dessen, dass ich ganz alleine an der Uni-Bibliothek saß. Interessiert las ich weiter. Die teilweise snobistischen Ansichten diverser Kulturliebhaber, die auf den dann folgenden 30 Seiten beschrieben wurden, erinnerten mich an die aktuelle, elitäre Hipster-Einstellung, obwohl die angeführten Beispiele insgeheim bis zum Jahr 1760 zurückreichten. Darauf basierend zog ich mir folgenden Erkenntnis an den Haaren herbei: Hipsters gibt es noch immer, weil es sie schon immer gibt - heute haben wir nur einen anderen Namen dafür.

Als ich damals also auf der Tanzfläche stand und versuchte, die Leute mit meinen Robot-Moves zu beeindrucken, hätte ich eigentlich wissen müssen, dass meine Beobachter nicht mit mir, sondern über mich lachten. Ich hätte es schon in dem Moment wissen müssen, als mich Robert am Türsteher vorbei schmuggelte und dieser ihn so unglaubwürdig musterte, als hätte Robert seine Mikrowelle auf das Event mitgenommen. Aber ich habe an jenem Abend meine Lektion gelernt und aufgehört, mir etwas vorzumachen, indem ich auf Partys gehe, in dessen Publikum ich einfach nicht passte. Kurz, nachdem Kat mich „behindert“ genannt hatte, tat ich es meiner Begleitung gleich, verkündete lautstark „Hipster-Nonsense! Ich gehe!“ und verließ fluchtartig die Party. Und zwar im Roboter-Schritt. BÄM!

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