Haar

Weil ich mich nach Veränderung in meinem Leben sehnte, beschloss ich, eine Kurzhaarfrisur zu probieren. Die Reaktionen meiner Mitmenschen hätten mich aber um ein Haar (*gg*) in den Wahnsinn getrieben. Die ganze Wahrheit hinter meiner neuen Frisur.

Liebe Leser! Ich hatte die schlimmste Woche aller Zeiten! Nachdem ich die geniale Idee gehabt hatte, im Namen der Wissenschaft ein Experiment mit dem Titel „Absinth und was passiert, wenn man ihn anzündet und in großen Mengen trinkt!“ durchzuführen, lag ich seit Beginn der Woche mit einer Grippe in meinem Bett im Burgenland und hasste alle Menschen. Da meine akademische Ausbildung jedoch nicht auf sich warten lässt, blieb mir nichts anderes übrig, als Mitte der Woche vollgepumpt mit Schmerzmitteln und Kaffee (einer Mischung, die ich liebevoll „Buchinger‘s Delight“ nenne) zur Bushaltestelle zu wandern. Nachdem ich in einen Bus voller unhöflicher Kinder eingestiegen war und das Mädchen neben mir mein freundliches, Mary-Poppins-artiges „Hallo, mein Kind! Ich setze mich neben dich, wenn das okay ist!“ mit einem unhöflichen Schnauben erwidert hatte (woraufhin ich mein Buch zückte und leise „Wenigstens kann ICH schon lesen, du kleine Hure!“ säuselte), beschloss ich, dass ich eine spaßige Abwechslung brauchte, um mir zu besserer Laune zu verhelfen.
 
Ich überlege oft, mir mein Haar kurz schneiden zu lassen. Wie treue Leser meiner Kolumne (oder einfach jene Menschen, die sehen können) vielleicht wissen, werde ich in 70% der Fälle für eine Frau gehalten. Schon oft habe ich das Argument „Ein Junge sollte auch eine Jungenfrisur tragen!“ gehört, doch habe mich immer geweigert, mich von irgendjemandem in diese konservative Gender-Schublade stecken zu lassen. Andere wiederum behaupten, dass es nervig sei, wenn ich mir ständig mit der Hand durchs Haar fahre. ICH schlage ihnen vor, lieber ein lustiges Trinkspiel aus diesem Tick zu machen: Nehmt einfach immer dann einen Shot, wenn ich mir mit der Hand durchs Haar fahre und ihr habt garantiert eine gute Zeit. Die Meinung von anderen kümmert mich wenig, manchmal jedoch geht mir meine lange Mähne selbst auf die Nerven. Ich möchte an dieser Stelle gar nicht zugeben, wie oft ich unabsichtlich einzelne Haare schlucke und mich daraufhin wie eine Katze in die Ecke setzen und so lange herum würgen muss, bis ein großes Haarknäuel aus mir hervorkommt. Aus eben diesem Grund beschloss ich, dass es Zeit für eine große Veränderung war. Ich - Michael Buchinger, der ich seit 6 Jahren lange Haare trage - wollte endlich eine Kurzhaarfrisur haben!
 
Glücklicherweise ist die Vangardist-Truppe immer für solch einen Spaß zu haben, und so wanderte ich schon am Tag darauf mit meinen lieben Kollegen Tamara und David in das Perückenstudio Karglmayer im ersten Wiener Gemeindebezirk, wo ich unter fachkompetenter Betreuung verschiedene Kurzhaarperücken anprobieren durfte. Hierfür wurde mein langes Haar zuerst mir Haarklemmen zurückgeklemmt (dafür gibt es einen Fachausdruck, den mir meine freundliche Frisörin verraten, und welchen ich noch im selben Moment vergessen hatte) und schnell war eine Perücke gefunden, die meiner Naturhaarfarbe entsprach. Und nicht nur das: Ein feiner Tüllstreifen am Haaransatz sorgte dafür, dass der Übergang zwischen Kopfhaut und Kunsthaar erschreckend natürlich aussah. Wenige Minuten später machten die Bilder von mir und meiner „neuen Frisur“ auch schon die Runde auf Facebook und Twitter und mein krankes Herz lachte, weil mich nichts mehr erfreut, als andere Leute grundlos anzulügen.
Um ehrlich zu sein hatte ich zu diesem kleinen Spaß nicht viele Reaktionen erwartet, doch binnen kürzester Zeit wurde ich mehrmals von Freunden und Verwandten angerufen, die am Telefon mit mir schrieen, als hätte ich gerade verkündet, dass ich Betty White erschossen hatte. Es überraschte mich zudem, wie ehrlich die Leute zu mir waren. Großteils ereilten mich Nachrichten wie - ich zitiere - „Sieht offen und ehrlich scheiße aus.“. Hätte ich mir dir Haare wirklich schneiden lassen, wäre ich ernsthaft gekränkt gewesen. Welcher normale Mensch spricht so mit seinen Mitbürgern? Jeder mit guter Kinderstube weiß doch, dass man immer zu allen Leuten nett sein, und dann hinter ihrem Rücken gemeine Dinge über sie verbreiten sollte (ich nenne das die „Michael Buchinger Methode“). So weit ich informiert war, war es immer noch meine Entscheidung, was ich mit meinem Haar anfangen wollte; dennoch wurde darüber diskutiert, als wäre meine Frisur öffentliches Eigentum - wie ein Park, bei dem ich spontan entschlossen hatte, alle Bäume auszureißen. Enttäuscht, dass die Leute so unhöflich auf meine „Veränderung“ reagiert hatten, zog ich mich in mein Bett zurück. All diese negativen Reaktionen waren wirklich zum „perrückt“ werden (bitte lacht über mein billiges Wortspiel).
 
Dieser Vorfall brachte mich zum Nachdenken. Viele Leute hatten mich in den letzten Jahren damit genervt, dass mein Haar „zu lang für einen Jungen“ war. Als Kinder wird uns eingeprägt, dass Männer kurze Haare und Frauen lange Haare haben und wenn dieser fürchterliche Michael dann mit seinem langem Haar wedelt, bricht er einen Gender Code und die Leute kratzen sich verwirrt am Kopf, vermutlich während sie auf einem Grashalm kauen. Schneide ich mein Haar aber ganz kurz, ist auch das wieder nicht okay, weil ich dann anders bin, als mich die Leute in den letzten sechs Jahren gewohnt waren. Ich möchte freundlich darauf hinweisen, dass es meine eigene Entscheidung ist, was ich mit meinem Haar anfange und ich diese Freiheit genieße. Dies war nur einmal ein Testlauf, aber sollte ich wirklich einmal so unerhört sein, eine Veränderung an MEINEM Aussehen (CAPSLOCK!) zu wagen, hoffe ich, dass die Leute ein wenig offener und höflicher reagieren (oder zumindest mehr lügen - die Frisur war leider wirklich nicht vorteilhaft), als sie es diese Woche getan haben. Und jetzt sollte ich mich lieber wieder zurückziehen, bevor ich mich auf den nächsten Tisch stelle und anfange, „Hair“ von Lady Gaga zu singen.

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