Ein Gespräch mit einem überambitionierten Freund führt dazu,
dass ich meine eigenen Lebensentscheidungen in Frage Stelle, „Glee“
verteufle und meine triste Philosophie mit euch teile.
Als ich vergangene Woche die vorweihnachtliche Zugreise in mein
Heimatdorf am Land anstrebte, traf ich am Bahnsteig meinen Kumpel
Johann, mit dem ich vor Ewigkeiten in der Schule mal ganz gut befreundet
war. Mit meinem kleinen Köfferchen gesellte ich mich an seine Seite und
hakte nach, was sich im Leben meines alten Freundes so tat. Sehr viel,
wie er mir zu wissen gab, denn Johann studierte nun Wirtschaft und
verfiel sofort in einen Monolog darüber, dass er mitten im Leben stehe
und die nächsten fünf Jahre seines Daseins schon genau geplant habe.
(Inzwischen versuchte ich in Gedanken zu eruieren, welchen Wochentag wir
gerade hatten) Natürlich freute ich mich für meinen Kumpel, doch fühlte
mich sofort ein wenig schlechter: Wenn ich vorausplane, dann in der
Regel nur bis zur nächsten Hauptmahlzeit. Als Johann seinen Redeschwall
endlich beendete, saßen wir bereits im Zug. Ich wusste, was nun kommen
würde. Mein Gegenüber stellte mir die verhasste Frage, die mir von
meinen Mitmenschen in letzter Zeit sehr oft gestellt wird: „Und Michael,
was machst du so mit deinem Leben?“.
Ich hasse diese Frage
ohnehin schon so sehr, aber sie beantworten zu müssen, nachdem Johann
gerade aus seinem eindrucksvollen Lebenslauf erzählt hatte, war ein
bisschen so, als müsse man eine Jury beeindrucken, nachdem Susan Boyle
sie soeben mit ihrer tragischen Story und ihrem himmlischen Gesang
eingelullt hatte. „Ich studiere Englisch!“, antworte ich meinem
Gegenüber und konnte dabei ja nicht ahnen, welche Kettenreaktion diese
harmlose Antwort auslösen würde. „Nur Englisch? Was machst du sonst den
ganzen Tag?“, feuerte Johann nämlich ein wenig frech zurück und
spätestens das war der Moment, in dem alle Zugpassagiere froh sein
sollten, dass ich nie den Waffenschein gemacht habe. Weil ich kurzerhand
nicht mit einer aufregenderen Erklärung darüber dienen konnte, wie ich
nun meine Zeit verbringe, war mir klar, dass mein Gegenüber mich nun für
ambitionslos hielt und vermutlich auch glaubte, dass ich entweder ein
Drogenproblem hätte, oder aber die meisten meiner Stunden damit
verbringe, heimlich für ein Papst-Attentat zu trainieren. Doch beides
ist nicht der Fall!
Ich verstehe wirklich nicht, was gewisse
Personen an meiner Tagesgestaltung und meiner Zukunftsplanung so sehr
auszusetzen haben. Nein, ich arbeite nicht von 9 bis 17 Uhr in einem
Büro. Ich bin mir nicht mal sicher, ob das tatsächliche Bürozeiten sind
und beziehe dieses Wissen nur aus dem Dolly Parton-Song „9 to 5“. Ich
möchte später auch nicht irre „erfolgreich“ werden, solange ich halbwegs
zufrieden bin. Zudem wirkt die Tatsache, dass ich mein Geld im Internet
verdiene, oft nicht nur unkonventionell, sondern auch furchtbar
verstörend auf meine Mitmenschen, weswegen ich dieses Detail
verschweige. Doch es war bereits zu spät: Wie so viele der Kritik, die
von außen kommt, hatte auch diese nagende Frage bereits ihren Weg in
mein Unterbewusstsein gefunden und ich fing an, meine ganze Existenz in
Frage zu stellen: Ja, was mache ich eigentlich den ganzen Tag? Was mache
ich überhaupt mit meinem LEBEN? Wieso habe ich nur ein Studium? Noch
dazu habe ich weder Liebesbeziehung, noch Mitbewohner, um die ich mich
kümmern könnte. Allmählich entwickelte ich innere Unruhe und das
brennende Verlangen, sofort einen Stepptanzkurs zu belegen.
Wie immer in derartigen Situationen, wurde ich grundlos wütend auf (wie
sollte es auch anders sein) unsere Gesellschaft im Allgemeinen und die
Serie „Glee“ im Speziellen. „Glee“ ist der Teufel in Musical-Form! Denn
seit die Serie im Fernsehen kommt, scheint es mir, als würde es nicht
mehr reichen, wenn wir halbwegs gut in der Schule sind und irgendwann
unseren Abschluss haben. Nein, nein, nein! Wir müssen jetzt alle nicht
nur einen Plan, sondern auch einen „Traum“ haben; ein Ziel, das wir
solange verfolgen, bis wir es endlich erreicht haben. Einfacher
Angestellter werden ist nicht mehr cool: Wir müssen etwas Wunderbares
und Individuelles mit unserem Leben anfangen wollen und diesem
sehnlichsten Wunsch am besten durch Gesang und Tanz Ausdruck verleihen
können. Johann hatte ohne Zweifel einen genauen Plan von seiner Zukunft
und es hätte mich auch nicht gewundert, wenn er in eben jenem Zugabteil
angefangen hätte, mit Stock und Zylinder „Anything You Can Do, I Can Do
Better“ zu singen. Johann konnte das sicher.
Okay, es ist
nicht so, als hätte ich keine Ambitionen, doch erlaubt mir, an dieser
Stelle meine relativ triste, wenngleich realistische Lebensphilosophie
zu teilen: Ich erwarte mir nie zu viel. Natürlich wünsche ich mir, in
ein paar Jahren ein bisschen Erfolg zu haben, aber ich hasse es, mir wie
Johann gedanklich konkrete Pläne festzulegen (und diese noch dazu
unschuldigen Zugpassagieren zu offenbaren) und mich selbst unter Druck
zu setzen, da ich mal davon ausgehe, dass die Dinge in 90% der Fälle
ohnehin ganz anders kommen. Im Grunde genommen möchte ich mir
Enttäuschung ersparen: Bis ich meine persönlichen Ziel erreiche, könnte
ja immerhin schon die Welt untergegangen, oder aber der Zug, in dem wir
uns gerade befinden, entgleist sein, weswegen ich versuche, mehr im
Moment zu leben, anstatt Luftschlösser in der Zukunft zu bauen. Neben
dieser Erkenntnis hatte diese monotone Zugfahrt aber noch einen Vorteil:
Während Johanns Redeschwall erneut in einen eintönigen Monolog
ausartete, ist mir endlich eingefallen, welchen Wochentag wir hatten. Es
war Donnerstag!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen