Fetische

Als ich mit verbundenen Augen an zwei Ketten von der Decke der Folterkammer hing und mich auspeitschen ließ, fragte ich mich, wie es mir bloß wieder gelungen war, in diese Situation zu geraten.
 
Eigentlich hatte mein Abend ganz normal angefangen: Obwohl ich nicht vorhatte, auszugehen, ließ ich mich von Freunden schließlich doch überreden, die Eröffnung einer neuen Wiener Boutique zu besuchen. Es war einige Stunden und mehrere Gläser Gratis- Wein (meiner Meinung nach der einzige Grund, um Eröffnungen zu besuchen) später, als ein Freund die wahnwitzige Idee hatte: „Wisst ihr was? Wir könnten doch einen SM-Club besuchen!".
 
Okay, ich möchte hier anmerken, dass ich eigentlich überhaupt keinen Sadomaso-Fetisch oder ansonsten besonders ausgefallene Sexualvorlieben habe. Sicher, manchmal esse ich ganz gerne ein Sandwich während des Aktes, aber wer tut das nicht? (Niemand? Okay.) Doch es gibt nunmal gewisse Dinge, die sich nach ein paar Gläsern Alkohol wie eine gute Idee anhören. Darunter befinden sich Klassiker wie „Hey, ich sollte meinen Ex- Freund anrufen und ihm ,I Will Always Love You' auf die Sprachbox singen!", „Warum kaufe ich mir nicht eigentlich ein Set an ,High School Musical'-Shotgläsern?" und „Ja, gehen wir eben in einen SM-Club!".
 
Ähnlich wie Alice durch das Kaninchenloch ins Wunderland transportiert wurde, fand ich mich plötzlich in einem Wiener SM-Club wieder, der sehr zu meiner Verwunderung ziemlich gut besucht war. Der Laden sah für mich im ersten Moment nicht anders als die Lokale, die ich sonst besuche, aus. Auffällig war, dass in der Mitte der Tischplatten riesige Löcher zu finden waren, welche, wie ich vermutete, sicher dazu dienten, um riesige Sonnenschirme durchstecken zu können. Ich hakte nach. „Nein, nein, Michael!", erklärte man mir. „Wenn du genau hinsiehst, bemerkst du, dass die Tische eigentlich Käfige sind, wo man seine Sklaven reingeben kann und oben ist ein Loch, damit sie rausschauen können. Dann kann man sie auch füttern!" Ah! Wäre mein zweiter Tipp gewesen.
 
Natürlich dauerte es nicht lange, bis mich ein Freund fragte, ob ich mir nicht die Folterkammer, die sich am Ende des Lokals befand, mit ihm ansehen wolle. Sicher, warum nicht? Man fährt ja schließlich auch nicht nach Paris und sieht sich dann den Eiffelturm nicht an. Bei einer kurzen Besichtigung des Raumes, in dem sich diverse Folterwerkzeuge befanden, sowie ein Stuhl, der genauso gut in der Praxis eines Gynäkologen hätte stehenkönnen, blieb es jedoch nicht. Ehe ich mich versah, hing ich von der Decke, trug eine Augenbinde und wurde ausgepeitscht. Mittlerweile vermute ich, dass diese ganze Aktion eigentlich ein durchdachter und sorgfältig ausgeführter Plot meiner Freunde war, die mich nur mal so richtig verdreschen wollten, weil ich ihnen auf die Nerven ging. Nun, da ich so gut drauf war, hatten sie mich einfach in die Folterkammer gelockt um eine Runde „Hau den Michael!" zu spielen. „Aber gibt es wirklich Leute, die dadurch erregt werden?" war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf ging. („Ich sollte mir andere Freunde suchen." war der zweite.)
 
Wenige Augenblicke später folgte auch schon die Antwort auf meine Frage: Auf mein Bitten hatte ein Freund die Augenbinde entfernt und ich musste feststellen, dass die Folterkammer, die - bis auf uns - anfangs noch leer war, nun von mindestens fünf Fremden gefüllt war, die angespannt dabei zugesehen hatten, wie ich ausgepeitscht worden war. Ich möchte nicht näher ins Detail gehen, aber sie hatten wirklich (!) ihren Gefallen daran. Ich sollte anmerken, dass ich in dieser Hinsicht wirklich nicht urteile und gewisse Fetische weniger merkwürdig, als vielmehr faszinierend finde. Zwar ist SM beispielsweise wirklich nicht mein Ding, aber alle Gäste des Lokals wirkten wie nette, aufrichtige Menschen, die abends eben gerne Ledermasken trugen und einander mit Wachs übergossen. Wieso nicht?
 
Der ein oder andere kennt vielleicht den 1Live-Moderator Domian. Einst lebte er in einer WG mit Hella von Sinnen und Dirk Bach (was ich mir, nebenbei bemerkt, total witzig vorstelle) und gibt heute Ratschläge an Leute, die in seiner Sendung anrufen und ihre dunkelsten Geheimnisse offenbaren. Diese reichen von „Hilfe! Ich habe meinen Freund betrogen!" bis hin zum bekannten „Ich kaufe 60kg Hackfleisch, forme mir daraus eine Frau und habe Sex mit ihr." Viele Abende habe ich schon damit verbracht, mir seine Sendung anzuhören und immer wieder stellt sich mir dieselbe Frage: „Warum haben die Menschen solche Fetische?"
 
Bei meiner Recherche bin ich stets auf die selbe Antwort gestoßen: Es lässt sich vermuten, dass Fetische durch prägende Erlebnisse in der Kindheit, mit denen man eine starke sexuelle Empfindung in Verbindung bringt, entstehen. Aus diesem Grund werden eben jene Empfindungen getriggert, wenn das Kindheitserlebnis unterbewusst in Erinnerung gerufen wird. Ähnlich, wie mich zum Beispiel der Geruch von Lakritzegedanklich sofort wieder ins Haus meiner Großeltern transportiert, werde manche Menschen eben durch die Berührung von Hackfleisch erregt. Aha!
 
Wenngleich es definitiv Dinge gibt, die mir größeren Spaß bereiten, als eine Nacht im SM- Club (darunter Arztbesuche, Scrabble und die vierstündige Filmversion von „Hamlet"), bin ich dennoch dankbar, jene Erfahrung gemacht zu haben, da sie mir Einblick in eine Subkultur gegeben hat, die mir zuvor noch gänzlich unbekannt war. Ich würde sogar behaupten, dass ich seit jenem Abend vorurteilsfreier bin. Denn sei es nun SM, Hackfleisch oder ein Sandwich im Bett: Jeder hat seine eigenen sexuellen Vorlieben und solange alle ihren Spaß daran haben und niemandem geschadet wird, sehe ich überhaupt nichts Falsches daran.
 
Ich würde ja fragen: „Und, was sind so eure Fetische, liebe Leser?" - und wer sie wirklich preisgeben möchte: nur zu! An die weniger offenen Leser geht jedoch die Frage: Was ist für euch der faszinierendste (oder „lustigste") Fetisch, von dem ihr je gehört habt?

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