Facebook

Ein Streit unter Nachbarn führt dazu, dass ich mir Gedanken über Security-Kameras, Facebook und Stalking mache, während ich Rachepläne gegen die dicke Frau aus dem dritten Stock schmiede.
 
Diese Woche war ich einen Streit verwickelt. Weil meine neue Küche geliefert wurde und dieser Prozess nicht unbedingt leise von dannen ging, hatte in meiner Abwesenheit eine Nachbarin meine Handwerker dermaßen zur Schnecke gemacht, dass ich ihnen nach meiner Rückkehr bei einem Glas Zweigelt seelischen Beistand leisten musste. In eben jenem Moment klopfte meine neugierige Nachbarin Marianne an die Wohnungstür. „Michael, ich habe gehört, dass es einen Streit gab?", platzte es aus ihr heraus, gerade als ich versuchte, das Selbstbewusstsein meines Tischlers wieder aufzubauen. „Ja," antwortete ich „aber ich war nicht da und weiß nicht, wer ihn ausgelöst hat...". „Das können wir herausfinden!", unterbrach mich Marianne, die ihre Aufregung kaum in Zaum halten konnte. „Schauen wir uns doch einfach das Video meiner Überwachungskamera an!". - „Ach, eigentlich ist es mir nicht so wichti--",. - „SCHAUEN WIR UNS DAS VIDEO AN!!!!" Mariannes Augen funkelten dämonisch in Vorfreude auf dieses gemeinsame Unterfangen. Allmählich bekam ich das Gefühl, dass sie Lust hatte, mit mir unter dem Namen „Michael & Marianne Mysteries" diverse Kriminalfälle zu lösen. Doch in jenem Moment hatte ich ganz andere Sorgen.
 
Okay, cool: Meine Nachbarin hat also eine Überwachungskamera. Natürlich hatte ich das Gerät gesehen, doch um ehrlich zu sein war ich felsenfest davon überzeugt gewesen, dass es sich um eine Attrappe handelte, um Einbrecher zu veräppeln (typisch Marianne!). Doch nun musste ich erfahren, dass all die glorreichen Momente, die sich im letzten Jahr in unserem Gang zugetragen hatten, auf Video festgehalten wurden: Der Tag, an dem ich dem Pizzaboten extra Trinkgeld gegeben hatte, damit er auch gleich den Müll runterbringt. Die Nacht, in der ich nach dem Ausgehen auf meiner Türmatte geschlafen hatte, im Glauben ich hätte meinen Schlüssel verloren, nur um ihn nach meinem Erwachen in meiner Tasche zu finden. Und, ja, der ein oder andere Herrenbesuch, der mal kurz auf einen „DVD-Abend" vorbeischaut und erst am nächsten Morgen mit Liptauer an allen möglichen Körperstellen fluchtartig meine Wohnung verlässt. Ich gehe nun davon aus, dass Marianne mir zu Weihnachten eine DVD mit meinen „Worst Moments" schenken wird, doch bis dahin muss ich über eine existenzielle Frage brüten: Sicherheit ist schön und gut, aber geht diese Überwachung nicht ein bisschen zu weit?
 
Ich zog gerade in Betracht, von nun an Chamäleon-artig in einem Anzug, der die gleiche Farbe wie unser Gang hat, über den Boden in meine Wohnung zu robben, als mir ein Freund dieses beunruhigende Video schickte und mir einfiel, dass ich eigentlich ein ziemlicher Heuchler war, da ich zwar bei meinen Nachbarn anonym bleiben wollte, aber gleichzeitig intime Details aus meinem Leben mit der ganzen Welt auf Facebook teilte.

Nein, ich bin keine dieser nervigen Personen, die sich ständig darüber beklagt, dass „die Regierung" meine Daten klauen will. Um ehrlich zu sein ist es mir auch relativ egal, ob Mark Zuckerberg (oder wer auch immer) nun Bilder von meiner letzten Fondue-Fiesta hat oder nicht; ich nehme mich nicht so ernst und es gibt definitiv Personen, die viel interessanter sind als ich. Trotzdem bin ich durch diesen Vorfall zu der Erkenntnis gekommen, dass es heutzutage selbst ohne Überwachungskamera wirklich leicht ist, mich und andere Personen zu stalken. Erst vor ein paar Tagen hat mich eine Freundin zum Essen bei ihr zuhause eingeladen. Weil ich ihre Adresse vergessen hatte und nicht erneut anrufen wollte, habe ich einfach mal ihren Namen gegooglet und hatte bereits nach zwei weiteren Mausklicks ihre vollständige Anschrift. Wenn ich ihr Erzfeind wäre und sie töten wollte, hätte ich nun alle Informationen, die ich brauche, um diesen Akt in einer Nacht- und Nebelaktion durchzuführen. Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber diese Tatsache finde ich wirklich ein wenig beunruhigend. Sind Facebook und Co. etwa die Überwachungskameras des 21. Jahrhunderts?
 
Doch damit nicht genug! Letztens war ich an der Uni, als mich über meine Facebook-App eine Benachrichtigung erreichte: „Dein Freund Klaus ist in deiner Nähe!". Okay... Mittlerweile ist es scheinbar so, dass wenn sich ein User in deiner unmittelbaren Nähe markiert, Facebook sich denkt: „Oh, ihr zwei solltet miteinander abhängen!". Aber ich möchte nicht! Eigentlich kann ich Klaus gar nicht leiden, aber er hat schöne Bilder. Worauf ich mit meiner (zugegeben: diesmal sehr wirren) Kolumne hinaus will:
 
1. Ja, meine Nachbarn sind furchtbar eigenartig. Und
 
2. vielleicht sollte man nicht unbedingt jeden Aspekt seines Lebens auf Facebokk teilen (ja, ja: Sage gerade ich).
 
Weil 2013 immer näher rückt, habe ich daher den Entschluss gefasst, in Zukunft bewusster mit den Informationen, die ich im Internet teile, umzugehen und im Anschluss die Überwachungskamera meiner Nachbarin mit Liptauer zu bewerfen. Einen Vorteil hat diese ganze Affäre jedoch schon: Nun weiß ich endlich, dass es die dicke Frau aus dem dritten Stock war, die meine Handwerker zur Schnecke gemacht hat. Bitch.

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