„Wenn du an jemandem interessiert bist, dann antworte nicht auf
seine SMS!“ und andere Datingweisheiten lernt Michael auf seinem
brisanten Ausflug in die Welt der Selbsthilfebücher.
An einem verregneten Abend saß ich gerade mit einer Flasche Rotwein bei
meinem Kumpel Klaus zuhause. Irgendwann im Laufe unserer Freundschaft
war Klaus zu meinem Mentor in allen Lebenslagen geworden und ich
jammerte ihn deshalb gerade mit meinem problematischen Liebesleben voll:
Ich war nun schon öfter mit einem Typen namens Johannes ausgegangen,
aber es wollte einfach nichts zwischen uns passieren - wir hatten uns
weder geküsst, geschweige denn ein gemeinsames Stück auf der alten
Fleischflöte gespielt (so nenne ich Sex). Mittlerweile war es fast so,
als würde ich meine Mutter daten. „Wie oft habt ihr euch denn schon
gesehen?“, wollte Klaus wissen. Ich zählte kurz nach „6 Mal!“,
entgegnete ich und mein Gegenüber verzog sein Gesicht. „Nein, vergiss
es. Beim dritten Date muss etwas passieren, sonst wird nie was
passieren. Jeder weiß das.“ Ich dachte kurz nach und musste feststellen,
dass Klaus vollkommen Recht hatte: Mit einer einzigen Ausnahme war bei
all meinen übrigen Dates meist spätestens beim dritten Treffen etwas
„passiert“. Wieso stimmte diese Regel bloß und weshalb wusste ich bisher
noch nichts davon?
Verdammt! Mein Leben lang war ich davon
ausgegangen, dass Dating wie eine Art Glücksspiel war, bei der es nicht
in der eigenen Hand lag, ob man Glück oder Pech hatte. Nun musste ich
herausfinden, dass es Regeln gab und ich meine Ziele sogar erreichen
konnte, wenn ich mich nur ein bisschen anstrengte. Was sollte dieser
Nonsense? Es war wie damals in der Schule, als ich anfangs sagte „Mathe
ist mein Lieblingsfach!!!!“, bis plötzlich auf einmal Buchstaben in den
Rechnungen auftauchten. Man möchte meinen, dass mir diese Erkenntnis
irrsinnig viel geholfen hätte und ich in Windeseile zum
Dating-Weltmeister avanciert wäre, doch ganz im Gegenteil: Vorerst
entwickelte ich erstmal panische Angst vor dem entscheidenden dritten
Date und nahm es mir zu Herzen, dieses sicherheitshalber immer so unsexy
wie möglich zu gestalten („Ich schlage vor, dass wir in diverse
Hallenbäder gehen und die Sauberkeit des Schwimmwassers überprüfen.
Viele Leute wissen nicht, dass sie sich da praktisch in einem Mund
schwimmen!“). Nach einigen Wochen aber beschloss ich, mehr über diese
berüchtigten Dating-Regeln erfahren zu wollen. Ein passendes Buch musste
her!
Ich möchte mich an dieser Stelle bitte maßlos über den
unverschämten Sexismus der Selbsthilfe-Industrie aufzuregen! Bei meiner
Recherche habe ich mir dutzende Ratgeber auf Amazon angesehen und 90%
davon war explizit für Frauen. Dies impliziert wiederum, dass Frauen es
notwendig haben, sich mit Hilfe von Selbsthilfebüchern mental so zu
verbiegen, dass der Mann ihrer Träume (der natürlich nicht an sich
arbeiten muss, sondern so bleiben darf, wie er ist) sie endlich liebt.
Das finde ich nicht okay! Weil es zudem keinen expliziten „Ratgeber für
ahnungslose Homos, denen einfach nur ein bisschen langweilig ist“ gab,
habe ich mich kurzerhand für das Buch mit dem passenden Titel „The
Rules“ entschieden, welches laut Klappentext die wichtigsten
Dating-Regeln enthielt und zudem zwei Millionen Exemplare verkauft
hatte. Mein Abenteuer konnte losgehen!
Wenn ich meinem neuen
Ratgeber vertrauen durfte, dann hatte ich allem Anschein nach so viel
Sexappeal wie ein altes Stück Blauschimmelkäse: Mein Leben lang war ich
davon ausgegangen, dass es normal und gut sei, einfach offen zu sein und
den ersten Schritt zu wagen. Weit gefehlt! „The Rules“ schreibt vor,
man solle immer ein bisschen den Eindruck erwecken, als würde man den
Partner eigentlich gar nicht so sehr mögen und daher nur selten auf
Anrufe und SMS antworten. Auf gar keinen Fall dürfe man ihn um ein
Treffen bitten, sondern solle darauf warten, um ein Treffen gebeten zu
werden. Sprich: Immer so tun, als wäre man desinteressiert und
beschäftigt, obwohl man zuhause auf dem Sofa liegt, einen „Full
House“-Marathon verfolgt und insgeheim auf eine SMS von der begehrten
Person wartet. Aber war das nicht kontraproduktiv? Es erinnerte mich an
die Zeit, in der ich dachte, ich könne abnehmen, indem ich mich einfach
nur noch von Kartoffelchips ernährte (Ich habe übrigens nicht
abgenommen, nur zu eurer Information). Konnte ich wirklich das Interesse
eines anderen erwecken, indem ich gemein zu ihm war? Es gab nur einen
Weg, um es herauszufinden.
In einem Versuch zu retten, was
ohnehin nicht mehr zu retten war, versuchte ich also, „The Rules“ bei
Johannes anzuwenden. Um ehrlich zu sein finde ich die Grundaussage des
Buches nicht einmal schlecht: Es geht darum, sich gegenüber der anderen
Person Respekt zu verschaffen und nicht sofort in ein Taxi zu springen,
wenn sie „Komm vorbei!“ sagt. Eine der wichtigsten (und lächerlichsten)
Regeln ist jedoch, auf Facebook und SMS-Nachrichten erst mindestens vier
Stunden später zu antworten und die Antwort kürzer als die vorherige
Nachricht ausfallen zu lassen. Unsere SMS-Verläufe sahen in etwa so aus:
J: Was machst du?
M (vier Stunden später): Ich lerne.
J: Was?
M: BWL
Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass ich noch nie in meinem Leben
BWL gelernt habe, aber es ist wohl das einzige Fach, das weniger
Buchstaben als „Was?“ hat. So ging es eine Zeit lang hin und her, bis
der Kontakt zwischen uns allmählich sein Ende fand.
Vor zwei
Wochen schließlich habe ich Johannes beim Ausgehen getroffen, was mir
diese ganze wirre Geschichte wieder in Gedanken rief. Wir kamen ins
Gespräch und Johannes kaufte mir ein Bier (ich hoffte insgeheim, die
Unterhaltung so lange führen zu können, bis er mir auch Mozzarella
Sticks kaufte). Während ich daran nippte, lamentierte ich, wie schade es
doch war, dass wir einander aus den Augen verloren hatten. „Um ehrlich
zu sein,“ konterte Johannes, „hatte ich das Gefühl, dass du kein
Interesse an mir hattest. Du warst gegen Ende irgendwie kühl und
schnippisch.“ - BÄM! Und da haben wir‘s! Sobald ich an jenem Abend nach
Hause kam, warf ich „The Rules“ ganz dramatisch in den Abfalleimer. Ich
hatte meine Lektion gelernt: Auch wenn es sich manchmal ganz verlockend
anhört, kann man Menschen nunmal nicht wie Maschinen behandeln und sich
erwarten, dass alle Personen nach dem gleichen Schema funktionieren.
Schade nur, dass ich ein dummes Selbsthilfebuch gebraucht habe, um zu
dieser Erkenntnis zu kommen.
Wer möchte, kann in den
Kommentaren seine Meinung zu Dating-Regeln teilen, sollte aber
sicherheitshalber mindestens vier Stunden warten.
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