Coming Out

Am 11. Oktober wurde auch dieses Jahr wieder der Coming Out Day gefeiert und ein gewisser Kolumnist mit einer Vorliebe für Mikrowellengerichte machte sich im Zuge dessen Gedanken über sein eigenes Outing.
 
Am vergangenen Donnerstag war der National Coming Out Day und Hollywoods Stars und Sternchen sorgten dafür, dass auch ich dieser Tatsache auf meiner Facebook- und Twitter-Timeline nicht entkommen konnte. Ich weiß, dass der Coming Out Day eine tolle Sache ist, aber was manche Leute zu diesem Thema tweeteten, schien mir doch ein wenig kontraproduktiv. „Oute dich noch heute!“ lautete nämlich großteils die Message, die viele Prominente vermittelten. Ganz abgesehen davon, ob es nun gut ist, wenn sich unsichere Homosexuelle gedanklich auch noch Jennifer Love Hewitt vorstellen müssen, wie sie mit verschränkten Armen dastehst, ungeduldig mit ihrem Fußballen auf den Boden tappst und „Komm schon! Tu es! Oute dich! JETZT!“ schreit, erinnert mich dieser Tag an mein eigenes Coming Out. Dieses habe ich vermutlich schon öfter diskutiert als das merkwürdige Serienfinale von „Desperate Housewives“ (wirklich? Was sollte das mit den Geistern?), aber da ich nach wie vor regelmäßig Nachrichten von Zusehern und Lesern bekommen, die mich diesbezüglich um Rat bitten, habe ich beschlossen, das Thema heute nochmal aus den unendlichen Buchinger‘schen „Katakomben an Smalltalk-Themen“ heraus zu graben.
 
Ganz abgesehen davon, dass jedem, der MICH um Rat fragt, ohnehin nicht mehr zu helfen ist, finde ich es beim Coming Out (sowie bei jeglicher anderen Art von „Enthüllungen“) wichtig, sich dabei selbst wohl zu fühlen. Ich bin im Alter von 11 Jahren zum ersten Mal auf den Gedanken gekommen, dass ich eventuell schwul sein könnte und war mit 16 schließlich so zufrieden damit, um es meiner Mutter sagen zu können, als wir gerade gemeinsam auf der Autobahn waren (ich weiß: rückblickend betrachtet nicht sehr weise. Wäre meine Mutter nicht relativ liberal, hätte dieses harmlose Coming Out in einer Massenkarambolage enden können). Hierbei ging es mir weniger darum, eine große Sensationsmeldung an den Mann zu bringen, als ein Missverständnis aufzuklären: Meine Mutter hatte indirekt nachgefragt, ob ich denn schon eine Freundin hatte und ich korrigierte ihren Fehler nonchalant, so wie ich Leute korrigiere, die mich fälschlicherweise „Moritz“ nennen. „Bist du dir sicher?“ fragte sie nach meiner Enthüllung. „Ja!“, sagte ich und wir fuhren einfach weiter wie bisher (METAPHER!).
 
An und für sich gehe ich ja davon aus, dass alle Menschen einfach merken, dass ich schwul bin, weiß aber auch, dass ältere Generationen eventuell nicht dieses Gespür für Homosexualität haben. Große Diskussionsrunden mit meinen Eltern waren die Folge. „Woher weißt du so genau, dass du schwul bist? Vielleicht bist du nur am Holzweg!“, ist ein Argument, das ich oft zu hören bekam. „LOL! Ja, vorausgesetzt dieser Holzweg führt zu einer Schwulenbar!“, war meine Antwort, die ich ob des Ernsts der Situation (den ich mir selbst vorgaukelte) nie auszusprechen wagte. Aber es ist okay: Ich selbst brauchte immerhin 5 Jahre, um von „Ich glaube, ich könnte schwul sein.“ zu „Ich bin definitiv schwul!“ zu kommen, daher konnte ich von meinen Mitmenschen keine große Schnelligkeit erwarten. Es war mir also wichtig, mich meinen Eltern zu outen, doch um ehrlich zu sein machte ich keine sonderlich großen Anstalten, meinen Geschwistern und Freunden diese Nachricht zu verkünden: Ich nahm einfach an, dass sie es ohnehin wussten und so war es auch. Und selbst jene, die meine Homosexualität nicht erahnen konnten, sollten früher oder später aus dritter Hand davon erfahren.
 
Denn damals, als meine 15 Minuten Ruhm noch nicht vorbei waren - und vorzugsweise auch dann, wenn es keine „richtigen“ Neuigkeiten gab - schrieben mich des Öfteren kleine Zeitungen und Webseiten an, weil sie über mich und die Videos, die ich auf YouTube veröffentliche, berichten wollten. Das freute mich natürlich immer sehr, aber ich muss zugeben, dass es für mich immer äußerst unangenehm ist, Artikel über meine Person zu lesen. Es ist vermutlich ein bisschen so, wie wenn man seine eigenen Eltern beim Sex hört. In der ersten Sekunde denkt man sich „Oh yeah!“, bis einem einfällt, dass es sich nicht um zwei Fremde, sondern um Mama und Papa handelt. Wie dem auch sei, ich mag es nicht, Artikel über mich selbst zu lesen, weil ich einerseits immer ein wenig verlegen reagiere, und ich mich von dem Großteil an Journalisten meist auf meine Sexualität reduziert fühlte. Dabei kam irgendwann im Telefon-Interview ganz nebenbei die Frage „Du bist doch schwul, oder?“ und ich entgegnete mit „Ja, bin ich!“. Die Schlagzeile lautete dann: „Michael Buchinger: Ja, ich bin schwul!“ und klingt ein bisschen so, als würde ich dieses übertrieben stolze Statement mit all meiner Kraft vom Gipfel eines Berges brüllen.
 
Es stimmt schon: Ich bin ja auch schwul, aber ich finde nicht, dass diese Tatsache mich in irgendeiner Weise definiert. Wo „der bekennend schwule YouTuber“ steht (und für den Artikel nicht weiter relevant ist), könnte man genau so gut „der bekennend weißhäutige, 65kg schwere YouTuber, der manchmal auch ohne Zähneputzen zu Bett geht“ einsetzen und man würde genau so viel über meine Persönlichkeit wissen, wie zuvor. Noch nie habe ich einen Artikel über die „bekennend heterosexuelle Jennifer Aniston“ gelesen - wiederum versuche ich aber, Artikel über Jennifer Aniston generell zu meiden. Was ich mit dieser wirren Anekdote sagen möchte: Homosexualität ist wirklich nicht die außerordentliche Sensationsmeldung, als die sie uns von den Medien oftmals vermittelt wird. Ein Coming Out ist natürlich wichtig, um die Menschen, die einem etwas bedeuten, wissen zu lassen, was Sache ist, aber nach dem Outing ist man immer noch die selbe Person, die man vorher war. Wichtig ist, in erster Linie mit sich selbst zufrieden zu sein und sich auf keinen Fall von Jennifer Love Hewitt oder anderen Personen unter Druck setzen zu lassen. Und jetzt, wo wir das geklärt hätten, möchte ich bitte wieder über das Desperate Housewives Finale reden. Oder darf man das etwa nur am „National Desperate Housewives Finale Day“?

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