Camp

Am vergangenen Sonntag, dem 1. April 2012, wurde Adam Sandlers „Jack & Jill" mit gleich zehn goldenen Himbeeren zum schlechtesten Film des Jahres gekürt. Gedanken über Filme, die so schlecht sind, dass sie schon wieder gut sind. 

Als mich eine Freundin fragte, ob ich mir nicht den neuen Adam Sandler-Film „Jack & Jill" mit ihr ansehen wolle, fing ich an, unsere Freundschaft ernsthaft zu hinterfragen. Denn jeder der mich kennt weiß, dass die Liste an Personen, gegen die ich noch mehr Abneigung als gegen Adam Sandler empfinde, äußerst kurz ist: Sie besteht lediglich aus meinem ehemaligen Sportlehrer, der mir immer Faulheit unterstellte, mich während seiner Tiraden aber ständig „Georg" (?) nannte und dem Partygirl, das mich vor einigen Monaten mit ihrer dummen Zigarette verbrannte, sodass ich nach wie vor eine eklige Narbe (oder „Kampfwunde", wie ich sie stolz nenne) am Ellbogen habe. Es ist ja nicht so, dass ich Adam Sandler als Mensch unsympathisch finde; nein, ich habe sogar einige seiner SNL-Sketche vom Beginn seiner Karriere gesehen und sie lustig gefunden, doch sind es die Filme, die er selbst schreibt und produziert, die mich schrecklich aufregen, weil es sich dabei meiner Meinung nach größtenteils um geschmacklose Streifen mit billigen Gags handelt, die aus irgendeinem Grund jeder außer mir superwitzig findet. „Sicherlich nicht!!!" brüllte ich meine Freundin an und gab ihr zu verstehen, dass ich mir solche sinnfreien Filme aus Prinzip nicht ansehen würde. Sie akzeptierte das, doch erinnerte mich höflich daran, dass ich sie erst Wochen zuvor gezwungen hatte, sich mit mir meine alte „Spice World"-VHS anzusehen. „Das ist etwas anderes," entgegnete ich. „,Spice World' ist ein Klassiker."

Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass ich mich nicht etwa im Glauben befinde, „Spice World" sei ein filmisches Meisterwerk. Noch nie habe ich den Film mit einem Hitchcock-Klassiker verglichen oder darüber gemutmaßt, ob Scary Spice wohl Lee Strasbergs „Method Acting"-Methode angewendet habe. Natürlich hat der Film keine tiefgründige Message, die den Zuseher auf seinem Lebensweg begleitet. Aber bitte: Die Spice-Girls rasen in ihrem Union-Jack-Doppeldecker-Tourbus durch London, stürzen sich dabei von einem Abenteuer ins nächste und werden beinahe von Aliens entführt! Wer allein anhand dieser Beschreibung nicht sofort Lust bekommt, sich den Film anzusehen, ist vermutlich eine sehr triste Person.
 
Umso mehr ergötzte ich mich schließlich an der Meldung, dass oben genannter Adam Sandler-Film, in dem der Schauspieler gleich zwei Rollen - eben die eines Mannes (Jack) und seiner Schwester (Jill) - übernimmt, am vergangenen 1. April bei den 32. Golden Raspberry Awards (welche die schlechtesten Leistungen der Filmbranche auszeichnen) mit gleich zehn Goldenen Himbeeren prämiert wurde. Hierbei sollte man vielleicht anmerken, dass es auch nur zehn Kategorien gab. Ganz bestätigt in meiner Adam- Sandler-Abneigung wollte ich, frech wie ich nunmal bin, sofort meine Freundin anrufen, um ihr diese Neuigkeit unter die Nase zu reiben. Aus Neugierde beschloss ich jedoch, mir zuerst die „Gewinner" der bisherigen 31 Verleihungen anzusehen.

Schockiert musste ich feststellen, dass nicht nur alle fünf Spice Girls für ihre schauspielerische Fehlleistungen ausgezeichnet worden waren, sondern sich auch schwule Kultklassiker wie „Showgirls" und „Mommie Dearest" unter den Preisträgern befanden; auch aktuellere Lieblinge, die bei keinem meiner DVD-Abende fehlen dürfen - darunter der Christina Aguilera-Streifen „Burlesque" und „Sex and the City 2" (der meiner Meinung nach zwar übertrieben, aber gerade deswegen so unterhaltsam ist) - befanden sich unter den Nominierten. Ich stand vor einem Rätsel: Warum lieben viele Schwule Filme, die von der breiten Allgemeinheit als „schlecht" abgestempelt werden?

Nach einigen Stunden der Recherche schien ich endlich die Antwort auf meine Frage gefunden zu haben: Camp! Als „Camp" bezeichnet man eine besonders theatralische, übertriebene Art der Kunst unter dem Motto „So schlecht, dass es schon wieder gut ist!", die vor allem bei Homosexuellen sehr beliebt ist. Aber warum? Sonst heißt es doch immer vorurteilsweise, Schwule hätten guten Geschmack. Wieso finden wir (also: ich) es dann witzig, wenn Kathleen Turner im John Waters-Film „Serial Mom" ihre unschuldige Nachbarin mit einer Schweinshaxe zu Tode prügelt? Die Schriftstellerin Susan Sontag bietet in ihrem Essay „Notes on Camp" dafür u.a. folgende Erklärung: Camp ist eine Form der Kunst, die darauf besteht, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen und auf verspielte Weise die Gesellschaft parodiert. Dieser Aspekt harmoniere besonders gut mit dem ebenfalls verspielten, selbstironischen Humor vieler Homosexueller.

Ich muss gestehen, dass mich diese Erklärung nur noch mehr verwirrte. Wer sagt denn, dass Schwule gut über sich selbst lachen können? Kein einziger meiner schwulen Freunde findet es zum Beispiel witzig, wenn ich meine Imitationen ihrer Stimmen, an denen ich teilweise wochenlang gearbeitet habe, vortrage. Aus diesem Grund kontaktierte ich meine Freundin Judith, die zwar eine heterosexuelle Frau ist, das Schwulsein aber viel besser draufhat als ich, und bat sie, mir Camp bitte noch einmal kurz und knapp zu erklären: Ihrer Meinung nach gilt die Kunstrichtung als „kulturelles Erbe", welches sich im Laufe der Jahre als fester Bestandteil der Schwulenszene etabliert habe. Das aus dem Grund, weil Camp rebellisch und auffallend, abseits der Norm, und bewusst „un-hetero" ist. Schwule Männer können sich damit identifizieren und ihnen wird ein ästhetisches Ventil geboten, durch welches sie sich indirekt ausdrücken können.

Na bitte! Im Grunde genommen ist es also völlig legitim, dass ich, selbst wenn es die Mainstream-Meute nicht tut, „schlechte" Camp-Filme liebe, weil ich dadurch das kulturelle Erbe der Szene bewahre. Damit hätten wir ein weiteres Mysterium der Schwulenwelt geklärt. Ich ziehe meinem Hut vor dem, der mir jetzt noch erklären kann, was die Allgemeinheit an Adam-Sandler-Filmen so toll findet.

Zwar habe ich schon einige meiner Camp-Favoriten genannt, bin aber dennoch für neue Vorschläge offen! Was sind eure liebsten „schlechten" Filme, liebe Leser?

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