50 Shades of Grey

Drei Wochen nachdem der Erotikroman „Shades of Grey" im deutschsprachigen Raum erschienen ist, habe auch ich mich ein wenig widerwillig an die Lektüre gewagt und wurde dazu inspiriert, meinen eigenen Erotikroman zu schreiben.
 
Es scheint mir so, als würde es alle paar Jahre ein Buch geben, das von den Medien als so schockierend und absolut unerhört dargestellt wird, dass ich einfach nicht anders kann, als es auf der Stelle zu kaufen und zu lesen. Nach der Lektüre komme ich jedoch in 90% der Fälle zu der Erkenntnis, dass mir, wie bei einer prall aussehenden Packung Chips, die im Endeffekt lediglich ein paar mickrige Kartoffel-Cracker enthält, durch den Medienrummel mehr Schock-Faktor und Perversitäten versprochen wurde, als das Buch eigentlich zu bieten hat (und ja, es ist mir gerade gelungen, Literatur mit Snack-Food zu vergleichen). Ob es nun daran liegt, dass unsere Gesellschaft super-konservativ ist oder ich einfach ein ekelhaft versauter Mensch bin (wollen wir wetten, liebe Leser?): Spätestens nach der Lektüre von „Feuchtgebiete" beschloss ich, keine übermäßig promoteten Skandalbücher mehr zu kaufen.
 
Vor einigen Wochen schließlich erzählte mir ausgerechnet meine Mutter von dem aufregenden, neuen Buch, das nun in aller Munde war, sich „50 Shades of Grey" nannte und welches sie unbedingt haben musste. „Michael, es geht darin um SM..." setzte sie an und wartete meine Reaktion ab. „Peitschen und so!" setzte sie schließlich einen drauf, nachdem ich ihr mit einem verdutzten Blick antwortete, doch in jenem Moment hatte ich bereits beide Hände über meine Ohren gelegt und angefangen, die Titelmelodie von „Wer ist hier der Boss?" zu singen. Es gibt nur wenige Dinge, die ich mir unangenehmer vorstelle, als mit meiner Mutter über SM zu sprechen (zum Beispiel zufällig mit Hella von Sinnen und Dirk Bach gemeinsam in einem Whirlpool zu sitzen). Fluchtartig verließ ich den Raum.
 
Wenige Wochen später jedoch, als das Buch gerade unter dem Titel „Shades of Grey - Geheimes Verlangen" auf Deutsch erschienen war und es nur schwer möglich war, den Fernseher anzumachen ohne dabei zufällig auf eine „Diskussionsrunde über SM" mit „Experten" wie Sonja Zietlow zu stolpern, machte ich eine Entdeckung, die das Fass zum Überlaufen brachte: Ausgerechnet in dem Buchgeschäft, welches sich direkt neben meinem Wohnaus befindet, war das riesige Schaufenster voll von „50 Shades of Grey" - man hatte die armen Verkäufer sogar gezwungen, Dessous und Peitschen darin aufzuhängen, sodass die Kulisse eher einem billigen „Love Kino" als einem Buchladen glich. Und ich würde jeden Tag an dieser Auslage vorbeigehen müssen. NICHT MIT MIR! Wütend stapfte ich den Laden und schrie - sehr zu Verwunderung aller Anwesenden - „OKAY! Ich kaufe Ihr verdammtes Buch! Sind Sie jetzt zufrieden?".
 
Schnell kam ich hinter den Grund, warum so gut wie alle meiner Bekannten, die das Buch gelesen hatten, angaben, den über 500-seitigen Roman in weniger als zwei Tagen „verschlungen" zu haben: Mit seinen kurzen Sätzen, Wortwiederholungen und der extrem einfachen Sprache, liest sich das Buch, welches den ersten Teil einer Trilogie darstellt, wie ein Erotikroman für Kinder (was sich, nebenbei bemerkt, nach einer irrsinnigen Marktlücke anhört). Die Prämisse: Die tollpatschige Studentin Anastasia Steele verliebt sich in den reichen Sadisten Christian Grey und erlebt mit ihm prickelnde SM-Abenteuer. Und obwohl vereinzelte Passagen (okay, okay: Die Sexpassagen!) durchaus mein Interesse weckten, kam mir die Geschichte des schussligen Mädchens, das sich in einen gefährlichen, aber unheimlich anziehenden Mann verliebt, doch sehr bekannt vor. Und tatsächlich: Eine einfache Google-Suche ergab, dass „50 Shades of Grey" ursprünglich als „Twilight"-Fan-Fiction geschrieben wurde. Die Autorin hat also mehr oder weniger eine Geschichte genommen (die meiner Meinung nach ohnehin schon nicht sonderlich gut ist) und sie einfach mit einer Prise SM aufgepeppt. Gute Taktik! Lesen Sie demnächst: „Stolz und Vorurteil und SM!" von M. U. Buchinger (das U steht für „unzurechnungsfähig").
 
Ganz abgesehen davon, ob der Roman nun gut ist oder nicht, verstehe um ein weiteres Mal nicht die Aufregung, die manche Menschen um dieses Buch machen. Ja, es ist stellenweise ein bisschen gewagt, doch die Personen, die damit ein großes Problem haben, sind wohl dieselben Menschen, die den Euro „Teuro" nennen und es „nicht richtig" finden, wenn Frauen Hosen tragen. Wer eine schockierende Sex-Geschichte lesen möchte, dem lege ich stattdessen „Lolita" von Vladimir Nabokov ans Herz und wer an richtigen Literatur-Skandalen interessiert ist, sollte sich mit dem Werk von Salman Rushdie auseinander setzen (den ich, um hier mal nicht intelligenter zu tun, als ich eigentlich bin, großteils daher kenne, weil er am Anfang von „Bridget Jones" zu sehen ist, nämlich in der Buch-Party Szene, als Bridget ihren vorgesetzten beinahe „Titten-Herbert" nennt. Ein echter Klassiker!).
 
Was haben wir also aus meiner Geschichte gelernt? Genau: Nur, weil unsere Medien ein Buch als „skandalös" und „unerhört" abstempeln, muss es das nicht unbedingt gleich sein. Obwohl „50 Shades of Grey" durchaus eine nette Strandlektüre ist, bin ich furchtbar wütend auf mich selbst, da ich - wie vermutlich alle anderen, die diese Buchreihe zum absoluten Bestseller gemacht haben - um ein weiteres mal in die altbekannte „viel Rauch um nichts"-Verkaufsfalle getappt bin und mir fälschlicherweise das schockierendste Buch aller Zeiten darunter erwartet habe. Wenn ihr mich entschuldigt, ich werde mich jetzt dem Schreiben meines eigenen Erotikromans widmen: Er ist für Kinder und eine Adaption von „Hänsel und Gretel", handelt aber von Inzest und einer Hexe, die gerne dabei zusieht. Er ist skandalös und unerhört. Bitte kaufen!
 
Habt ihr Buchtipps für mich, liebe Leser? Was lest ihr denn gerade so?

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