Neuanfänge

Zum einjährigen Kolumnen-Jubiläum berichtet Michael abschließend von seiner England-Reise, absurden chinesischen Bräuchen und einer ungewöhnlichen Freundschaft in frühester Kindheit.

Alle heiligen Zeiten schreibe ich gerne mal Artikel für diverse Magazine und nehme daher auch an Redaktions-Sitzungen teil. Auf diesen Treffen bekomme ich zwar meist nur einen kurzen Auftrag, den man mir genau so gut per SMS hätte schicken können, bin aber dennoch gerne dabei, weil ich es liebe, die Ideen meiner Kollegen zu hören und jedes Mal erneut hoffe, dass es Brötchen gibt (gibt es nicht; Magazin-Menschen essen nicht). Es war gerade während der Redaktions-Sitzung eines Lifestyle-orientierten Magazins, als die Reise-Redakteurin einen Vorschlag brachte: „Ich möchte gerne etwas über London schreiben!“. Binnen Sekunden war ich trotz Eisenmangels (ich hatte immerhin mit Brötchen gerechnet) wieder hellwach: Juhu! London! Ich würde kommende Woche diese Stadt bereisen und überlegte kurz, meinen bereits ausgedruckten Boarding-Pass aus der Tasche zu holen und in der Runde herumzureichen, während ich feierlich „Rule Britannia“ anstimmte, um allen Anwesenden zu zeigen, dass auch ich endlich cool war. Doch plötzlich sah ich, dass die junge Frau von allen übrigen Personen im Raum vorwurfsvoll gemustert wurde. „London? Wirklich?“, sagte unser Vorgesetzter, der mich nun mehr als je zuvor an Meryl Streep in „Der Teufel trägt Prada“ erinnerte. „Niemand fliegt mehr nach London und jeder war schon dort. Mach lieber Kopenhagen.“. Eingeschüchtert ließ ich meinen Boarding-Pass wieder in die Tasche wandern.

Okay, vielleicht bin ich also noch immer nicht „cool“, aber wenigstens bin ich ein kleines Stückchen weiser: Denn als ich vor genau einem Jahr angefangen habe, diese Kolumne zu schreiben, habe ich den ersten Eintrag meinem Karneval-Hass gewidmet. Zwölf Monate später weiß ich aber, dass es am besten ist, in jener Woche, in der nicht nur Karneval, sondern auch Valentinstag gefeiert wird, einfach mit drei Freunden ins verregnete England zu flüchten. Natürlich könnte ich an dieser Stelle von typischen London-Erlebnissen berichten, aber da ja angeblich ohnehin schon jeder in London war, lasse ich das lieber bleiben und erzähle stattdessen von einem schönen Moment: Wer meine Kolumne treu verfolgt, weiß vielleicht, dass Silvester dieses Jahr relativ ruhig für mich verlaufen ist und ich daraufhin den gesamten Januar relativ deprimiert verbracht habe. Sobald ich hörte, dass am 10. Februar 2013 das chinesische Neujahr gefeiert wurde und im Zuge dessen eine große Fete in Londons China-Town stieg, packte ich die Gelegenheit, einen zweiten Jahreswechsel feiern zu dürfen und es diesmal richtig zu machen, sofort am Schopf.

Als wir an jenem verregneten Sonntag China-Town betraten, war es fast unmöglich, nicht auf die Salatblätter zu treten, die überall auf de nassen Straße verstreut lagen. Was war hier bloß passiert? Hatte sich eine Gruppe von Vegetariern aus Protest in die Luft gesprengt? Weit gefehlt, denn schon bald erspähte ich eine Menschenmasse, die aufgebracht einer überdimensionalen, chinesischen Schlange durch China-Town folgte, welche wiederum mit Salat-Köpfen, die an Angeln baumelten, von Restaurant zu Restaurant gelockt wurde (ähnlich, wie meine Freunde mich an Trink-Abenden aus Kneipen weglocken, indem sie mir sagen, dass in einer anderen Kneipe gerade Happy Hour ist). Diesen Salat zerfledderte die Schlange (bzw. der Mann unter dem Kostüm) schließlich unter Trommelwirbel, warf die Blätter in die jubelnde Menge und zog weiter zum nächsten Lokal, wo ein weiterer Salat auf sie wartete. Dieses Ritual soll Glück bringen und erheiterte mich immens (besser noch wäre es aber gewesen, wenn man mit Torte geworfen hätte. Nur ein kleiner Tipp für nächstes Jahr!). Hier war ich also, ein Jahr nach Kolumnen-Beginn und hatte die nervigen Karnevals-Bräuche meiner Heimat gegen die ulkigen Neujahrs-Traditionen einer chinesischen Schlange ausgetauscht. Ich lobe mich ja nur ungern selbst, aber wenn das nicht progressiv (!) ist, weiß ich auch nicht weiter.

Der ein oder andere Leser verdreht sicherlich schon längst die Augen und fragt sich, ob mein meschuggenes „Es ist nie zu spät für einen Neuanfang“-Gefasel wohl darauf zurückzuführen ist, dass ich letzte Nacht schon wieder zum „Eat, Pray, Love“-Hörbuch eingeschlafen bin. Keine Sorge, dem ist nicht so - das Hörbuch ist sehr spannend und wer dabei einschläft, hat keine Seele! Doch da diese Kolumne heute ihr einjähriges Jubiläum feiert, habe ich ein wenig schwermütig beschlossen, sie nicht mehr weiterzuführen. Aber warum? Ist das nicht ein bisschen so, als würde man sich einen Hundewelpen anschaffen, ihn großziehen, trainieren und dann schließlich an seinem ersten Geburtstag erschießen? Ja, genau so ist das, aber um ein bisschen weniger herzlos zu wirken und meiner oberflächlichen Internet-Persönlichkeit ein bisschen Tiefgang zu verleihen, möchte ich eine pseudo-rührende Geschichte aus meiner Kindheit erzählen (und nein, es ist nicht die Geschichte, in der ich mit meinem Dreirad die Kellerstiege runterfahre und mir den Kopf stoße, obwohl diese Begebenheit sicherlich auch so einiges erklärt).

Als ich fünf Jahre alt war, schenkten mir meine Eltern einen mit Helium gefüllten Luftballon, der einen Bären im Bräutigamkostüm darstellte. Aus unerfindlichen Gründen beschloss ich, dass der Ballon im Badezimmer wohnen sollte. Rückblickend betrachtet würden wohl alle Mitglieder meiner Familie behaupten, dass die Beziehung, die ich in den folgenden Tagen zu dem Bräutigam-Bären aufbaute, „ungesund“ und „schädigend für mein zukünftiges Liebesleben“ war, da er schon bald zu meinem besten Freund avancierte; es war ein bisschen wie „Harold & Maude“, nur viel armseliger. Nach einiger Zeit kam es aber, wie es kommen musste: Ich merkte, dass dem Ballon nach und nach die Luft entwich und der einst so pralle Bräutigam allmählich wie ein trauriger Gast einer Bären-Beerdigung aussah. Schwermütig traf ich eine Entscheidung, die rückblickend betrachtet relativ weise für einen Fünfjährigen wirkt: Anstatt dabei zuzusehen, wie mein Ballon verrottete, wartete ich auf den nächsten windigen Tag und ließ ihn im Garten in die Lüfte steigen.

Aus ähnlichen Gründen habe ich beschlossen, besser bei diesem Meilenstein mit meiner Kolumne aufzuhören, als dann, wenn auch mir bereits die Luft ausgegangen ist und ich Texte zu Themen wie „Mann, oh Mann, das Wort ,Wölbung‘ ist schon ziemlich komisch, oder?“ verfasse. Ich bin jedoch kein Fan von großen Abschieden und bevorzuge es daher lieber, auf Partys polnische Abgänge hinzulegen: Oft gehe ich einfach ohne etwas zu sagen nach Hause und muss im Nachhinein feststellen, dass ohnehin niemandem meine Abwesenheit aufgefallen ist, weil die meisten Gäste dachten, die buschige Topfpflanze in der Ecke des Raumes wäre ich. Doch nicht heute! An dieser Stelle geht ein riesiges Dankeschön an das VANGARDIST-Team, das mir im vergangenen Jahr nicht nur eine tolle Plattform, sondern auch jede Menge Unterstützung geschenkt hat, sowie an alle Leser, die tatsächlich Interesse an meinen wirren Wortergüssen gezeigt haben. Es war mir wahrlich ein Fest mit euch und im Stil eines echten Festes werde ich nun nach Hause verschwinden, es mir auf dem Sofa gemütlich machen und die angegammelte Pizza des Vorabends verspeisen.

Valentinstag

„Wie ich dich liebe? Lass mich zählen wie.“ - Wie ich dich hasse? Wie viel Zeit hast du? Pünktlich zum Valentinstag begibt sich Michael auf ein katastrophales Date, das ihn erneut daran erinnerte, warum dieser Feiertag eigentlich relativ sinnlos ist.

Bis vor einem Jahr hatte ich fast wöchentlich ein Date. Mein Fable für Verabredungen war in meinem Freundeskreis so bekannt geworden, dass ich manchmal fürchtete, meine Freunde und Verwandten würden mich bald in einen Hinterhalt locken und mir dann unter Tränen gestehen, dass meine Dating-Sucht „die Familie zerstört“. Ich war die Sorte Mensch, die Jennifer Aniston in all ihren Filmen spielt: Eine Person, die regelmäßig auf katastrophale Verabredungen geht, die ihr allerhöchstens als Gesprächsstoff dienen, wenn sie sich mit ihren Freundinnen beim Brunch trifft. Diese Vorliebe hatte weniger etwas mit einem Verlangen nach Bestätigung zu tun, sondern war vielmehr ein bisschen so, als würde man als fauler Student halbherzig in die Vorlesung gehen: Niemand konnte mir vorwerfen, ich würde nicht wenigstens versuchen, unter die Leute zu kommen. Nach unzähligen Desaster-Dates aber beschloss ich, dieses Verhalten lieber an den Nagel zu hängen, bevor ich in Wien und Umgebung als „Dating-Nymphomane“ bekannt wurde. „Österreichweiter Meister im Bratkartoffel-Wettessen“ soll der einzige Name bleiben, unter dem ich bekannt bin.

Obwohl ich ein relativ eigenständiger Mensch bin, der sich von den Medien nicht allzu sehr beeinflussen lässt (ich habe jedoch sehrwohl einen V-Hobel aus dem Teleshop zuhause - damit zerkleinere ich Obst und Gemüse im Handumdrehen!), werde ich spätestens dann, wenn die ersten „Kaufen Sie ihrem Liebsten doch Viagra zum Valentinstag!“-Mails in meinem Spam-Ordner landen, wieder ein bisschen melancholisch. Ja, ich glaube wirklich, dass die Medien an meiner Misere Schuld sind, weil sie mir und allen anderen zu dieser Jahreszeit Dinge unter die Nase reiben, die man nur zu zweit machen kann: Einander bescheuerte Teddybären schenken, romantische Töpferkurse belegen und auf einem Tandem durch die Stadt fahren. In Wirklichkeit möchte ich eigentlich nur eine Schachtel Pralinen in Herzform kaufen, weil ich finde, dass sie nett aussieht, weiß aber, dass ich eigentlich einen Partner brauche, um das tun zu können. Obwohl ich im restlichen Jahr relativ zufrieden mit meinem Leben bin, sehne ich mich nun nach einer Beziehung, obwohl ich mich insgeheim wirklich nur nach dieser Schachtel Pralinen sehne. Ihr merkt, ich bin sehr tiefgründig. Um ein weiteres Mal also ließ ich mich dazu verleiten, mein altes Dating-Verhalten wieder aufzugreifen.

Kurzerhand war ein „ungezwungenes“ (Code für: Absolut wichtig - jede Sekunde zählt!) Treffen mit Hannes vereinbart, der ein guter Freund einer Studienkollegin ist, - sie vergewisserte mir im Vorhinein, dass er „ein ganz ein Netter“ sei. Und sie hatte Recht: Hannes wirkte auf den ersten Eindruck sehr nett, doch schon bald fiel mir auf, dass er unsere Unterhaltung vorwiegend auf eines der folgenden drei Themen hinlenkte: Armut, die globale Erwärmung und - Fun Fact! - die Tatsache, dass beim Thunfisch-Fang immer öfter Delfine getötet werden. Wichtige Themen, da bin ich mir sicher, aber leider nicht Erstes-Date-Material. Ich musste lachen: In der amerikanischen Live-Sketch-Comedy-Show „Saturday Night Live“ gibt es eine Figur, die „Debbie Downer“ heißt. Sie ist dafür bekannt, auf großen Partys und Feierlichkeiten immer die Stimmung zu drücken, indem sie anfängt, von Zugexplosionen, BSE oder anderen Desastern zu erzählen. (Unter diesem Link können sich Interessierte übrigens meinen Lieblings-Sketch ansehen. Bitte nicht panisch werden, die ersten 10 Sekunden sind stumm!).

So oder so ähnlich darf man sich auch mein Date mit Hannes vorstellen und ich möchte euch wirklich nicht weiter mit den Details langweilen, weil ich meinem Gegenüber schon nach einer halben Stunde seiner Schwarzmalerei Schmerzen mit einem Buttermesser zufügen wollte. Es war circa zur Hälfte des Dates, als ich den fatalen Fehler machte, von einem Besuch bei Starbucks zu berichten. Eigentlich hätte ich wissen müssen, dass diese Aussage bei meinem Gesprächspartner nicht gut ankommen würde, doch irgendwie wollte ich ihn auch provozieren. Hannes weitete seine Augen, als hätte ich gerade von einem Kaffeekränzchen mit Lord Voldemort erzählt: „Ich finde es absolut furchtbar, dass du Starbucks unterstützt Wie kannst du so einer kapitalistischen Kette dein Geld geben, wo es in Wien hunderte Kaffeehäuser gibt, die wegen Leuten wie dir immer öfter zusperren müssen?“ Okay, vielleicht bin ich ein schrecklicher Mensch, aber wenn ich um 7 Uhr mrogens im Halbschlaf aus dem Bett krieche, denke ich mir selten „So! Jetzt ziehe ich mir meine Birkenstocks an und hole mir einen fair-gehandelten Kaffee aus einem unabhängigen Kaffeehaus!“, sondern entscheide mich einfach für jenes Lokal, das ich fluchtartig betreten und verlassen kann, damit niemand merkt, dass ich unter meinem Mantel noch immer meinen Pyjama trage: Starbucks.

Es war spätestens in diesem Moment, als ich mich fragte, warum ich mir überhaupt ein Date mit einem völlig Fremden, der sich wohl insgeheim eines Tages einen Heiligentitel erhoffte, angetan hatte. Sofort fiel mir ein: Aufgrund des Valentinstags. Würden mir das Fernsehen, die Werbung und unzählige Newsletter nicht vermitteln, dass ich zu dieser Jahreszeit mit meinem Schatz auf einem Tandem durch die Stadt fahren muss, während wir „I Got You Babe“ singen, könnte ich jetzt völlig zufrieden zuhause sitzen und Bratkartoffeln essen. Inspiriert von der Erkenntnis, dass dieses Date schrecklich und ich im Moment nicht wirklich einen Freund wollte, sondern einfach zu einem hilfloses Medien-Opfer geworden war, beendete ich es frühzeitig mit der Ausrede, ich sei müde. Hannes, der wohl mehr Spaß gehabt hatte, als ich, hoffte, wenigstens noch seine körperlichen Bedürfnisse befriedigen zu können: „Möchtest du vielleicht noch einen Kaffe bei mir trinken?“. Höflich verneinte ich und sah meinem Gegenüber tief in die Augen. Sollte ich es wirklich sagen? War es nicht ein bisschen fies? „Aber vielleicht gehe ich noch zu Starbucks!“, setzte ich schließlich kindisch drauf und ging beschwingt meiner Wege.

In diesem Sinne: Frohen Valentinstag, liebe Leser!

Hipsters

Noch immer Hipsters? Ja, noch immer Hipsters! Nach einem fatalen Happening auf einer Tanzfläche überlegt Michael, warum das Kulturphänomen „Hipster“ einfach nicht verschwinden will.

Es war vor einigen Monaten, als ich gerade auf der Tanzfläche einer Party stand, für die ich ohne Zweifel zu uncool war. Die minimalistische Musik, sowie ... deuteten darauf hin, dass es sich um ein Hipster-Event handelte, und das war völlig okay für mich. Nicht nur hatte ich einst einen Artikel geschrieben, indem ich diese Szene-Menschen verteidigte; nein, in dieser Runde konnte ich mich auch ohne Bedenken des einzigen Tanzmoves, den ich beherrsche („der Roboter“), bedienen und ihn später als „ironisch“ abstreiten. Da Robert, meine Begleitung, sich vor einiger Zeit verabschiedet hatte, stand ich nun alleine auf der Tanzfläche und war gerade dabei, meine mechanischen Bewegungen mit passenden Geräuschen zu untermalen, als ich Kat - eine Freundin von Robert - entdeckte. Sie ist ein echtes Hipster-Girl, wie es im Buche steht, „Redakteurin“ bei ihrer eigenen Webseite (was - unter uns - ein Euphemismus für „arbeitslos“ ist) und heißt in Wirklichkeit eigentlich „Renate“. Erfreut, endlich ein bekanntes Gesicht zu sehen, eilte ich schnell zu ihr rüber und begrüßte sie. Nach meinen Grußworten sah mich Kat entgeistert an: „Und du bist?“, fragte sie ein wenig unhöflich und ich erläuterte, dass ich ein Freund von Robert sei. Das Hipster-Mädchen sah mich noch immer fassungslos an. „Du tanzt wie ein Behinderter!“, sagte es schließlich, lachte schallend und verschwand wieder in der Menge an kichernden Beobachtern.

Oh no, she didn‘t! Eine verbale Ohrfeige, die saß. All die Zeit lang hatte ich mich im Glauben befunden, auf der guten Seite der Hipsters zu stehen: Ich mochte ihren Kleidungs-Stil, manchmal auch die Musik und war dafür bekannt, Szene-Leute sogar aufbrausend vor meinen Freunden zu verteidigen, wenn diese wiedermal Dinge wie „Boah Michael, wie kannst du es nur aushalten, auf die Partys von solch pseudo-elitären Menschen zu gehen?“ sagten („Es gibt guten Hummus!“). Doch nun hatte ich die schlechte Seite der Medaille kennengelernt und fühlte mich zum ersten Mal der „Ich bin cool, du bist es nicht!“-Verachtung ausgesetzt, vor der mich meine Freunde gewarnt hatten. Sicher verdreht der ein oder andere Leser mittlerweile schon längt seine Augen: „Wirklich, Michael? Eine Kolumne über Hipsters? Wurde dieses Thema nicht schon zigmal durchgekaut?“. Doch genau das ist mein Punkt: Hipsters sind die wie diese Party-Gäste, die noch immer da sind, obwohl man sich als Gastgeber schon längst den Pyjama angezogen, sowie die Nacht-Zahnspange reingegeben hat und eigentlich nur noch auf die Wiederholung von „Der Bachelor“ wartet. Warum existiert diese Stil-Richtung nun schon so lange, anstatt sich allmählich auf dem Friedhof der Kultur-Phänomene neben Emos, Crocs und Paris Hilton zu Grabe zu legen?

(Ich verwende den Begriff „Hipster“ hier übrigens recht negativ, meine aber nicht die Leute, die gerne Jutebeutel tragen und Platten hören. Leben und leben lassen! Stattdessen benutze ich den Begriff hier eher für jene Menschen, die von sich selbst glauben, das Größte seit der Erfindung der Bratkartoffel zu sein, weil sie es geschafft haben, sich eine Webseite im Internet einzurichten)

Erst Wochen später sollte ich zufällig auf meine Antwort stoßen. Ich blätterte gerade lieblos in dem Buch „Cultural Theory and Popular Culture“ von John Storey, welches ich für mein Studium lesen sollte, als mir ein interessanter Satz ins Auge fiel: Im Jahr 1990 war es Luciano Pavarotti gelungen, die Arie „Nessun Dorma“ an die Spitze der britischen Mainstream-Charts zu bringen und damit die Barriere zwischen „Hochkultur“ und „Popkultur“ zu brechen. Mehrere Liebhaber klassischer Musik gaben daraufhin naserümpfend an, die Arie nicht mehr zu mögen, weil sie nun „populär“ geworden war. Genervt verdrehte ich meine Augen und rief laut „Solche Hipsters!“, was ein bisschen eigenartig war, angesichts dessen, dass ich ganz alleine an der Uni-Bibliothek saß. Interessiert las ich weiter. Die teilweise snobistischen Ansichten diverser Kulturliebhaber, die auf den dann folgenden 30 Seiten beschrieben wurden, erinnerten mich an die aktuelle, elitäre Hipster-Einstellung, obwohl die angeführten Beispiele insgeheim bis zum Jahr 1760 zurückreichten. Darauf basierend zog ich mir folgenden Erkenntnis an den Haaren herbei: Hipsters gibt es noch immer, weil es sie schon immer gibt - heute haben wir nur einen anderen Namen dafür.

Als ich damals also auf der Tanzfläche stand und versuchte, die Leute mit meinen Robot-Moves zu beeindrucken, hätte ich eigentlich wissen müssen, dass meine Beobachter nicht mit mir, sondern über mich lachten. Ich hätte es schon in dem Moment wissen müssen, als mich Robert am Türsteher vorbei schmuggelte und dieser ihn so unglaubwürdig musterte, als hätte Robert seine Mikrowelle auf das Event mitgenommen. Aber ich habe an jenem Abend meine Lektion gelernt und aufgehört, mir etwas vorzumachen, indem ich auf Partys gehe, in dessen Publikum ich einfach nicht passte. Kurz, nachdem Kat mich „behindert“ genannt hatte, tat ich es meiner Begleitung gleich, verkündete lautstark „Hipster-Nonsense! Ich gehe!“ und verließ fluchtartig die Party. Und zwar im Roboter-Schritt. BÄM!

Dating-Regeln

Wenn du an jemandem interessiert bist, dann antworte nicht auf seine SMS!“ und andere Datingweisheiten lernt Michael auf seinem brisanten Ausflug in die Welt der Selbsthilfebücher.

An einem verregneten Abend saß ich gerade mit einer Flasche Rotwein bei meinem Kumpel Klaus zuhause. Irgendwann im Laufe unserer Freundschaft war Klaus zu meinem Mentor in allen Lebenslagen geworden und ich jammerte ihn deshalb gerade mit meinem problematischen Liebesleben voll: Ich war nun schon öfter mit einem Typen namens Johannes ausgegangen, aber es wollte einfach nichts zwischen uns passieren - wir hatten uns weder geküsst, geschweige denn ein gemeinsames Stück auf der alten Fleischflöte gespielt (so nenne ich Sex). Mittlerweile war es fast so, als würde ich meine Mutter daten. „Wie oft habt ihr euch denn schon gesehen?“, wollte Klaus wissen. Ich zählte kurz nach „6 Mal!“, entgegnete ich und mein Gegenüber verzog sein Gesicht. „Nein, vergiss es. Beim dritten Date muss etwas passieren, sonst wird nie was passieren. Jeder weiß das.“ Ich dachte kurz nach und musste feststellen, dass Klaus vollkommen Recht hatte: Mit einer einzigen Ausnahme war bei all meinen übrigen Dates meist spätestens beim dritten Treffen etwas „passiert“. Wieso stimmte diese Regel bloß und weshalb wusste ich bisher noch nichts davon?

Verdammt! Mein Leben lang war ich davon ausgegangen, dass Dating wie eine Art Glücksspiel war, bei der es nicht in der eigenen Hand lag, ob man Glück oder Pech hatte. Nun musste ich herausfinden, dass es Regeln gab und ich meine Ziele sogar erreichen konnte, wenn ich mich nur ein bisschen anstrengte. Was sollte dieser Nonsense? Es war wie damals in der Schule, als ich anfangs sagte „Mathe ist mein Lieblingsfach!!!!“, bis plötzlich auf einmal Buchstaben in den Rechnungen auftauchten. Man möchte meinen, dass mir diese Erkenntnis irrsinnig viel geholfen hätte und ich in Windeseile zum Dating-Weltmeister avanciert wäre, doch ganz im Gegenteil: Vorerst entwickelte ich erstmal panische Angst vor dem entscheidenden dritten Date und nahm es mir zu Herzen, dieses sicherheitshalber immer so unsexy wie möglich zu gestalten („Ich schlage vor, dass wir in diverse Hallenbäder gehen und die Sauberkeit des Schwimmwassers überprüfen. Viele Leute wissen nicht, dass sie sich da praktisch in einem Mund schwimmen!“). Nach einigen Wochen aber beschloss ich, mehr über diese berüchtigten Dating-Regeln erfahren zu wollen. Ein passendes Buch musste her!

Ich möchte mich an dieser Stelle bitte maßlos über den unverschämten Sexismus der Selbsthilfe-Industrie aufzuregen! Bei meiner Recherche habe ich mir dutzende Ratgeber auf Amazon angesehen und 90% davon war explizit für Frauen. Dies impliziert wiederum, dass Frauen es notwendig haben, sich mit Hilfe von Selbsthilfebüchern mental so zu verbiegen, dass der Mann ihrer Träume (der natürlich nicht an sich arbeiten muss, sondern so bleiben darf, wie er ist) sie endlich liebt. Das finde ich nicht okay! Weil es zudem keinen expliziten „Ratgeber für ahnungslose Homos, denen einfach nur ein bisschen langweilig ist“ gab, habe ich mich kurzerhand für das Buch mit dem passenden Titel „The Rules“ entschieden, welches laut Klappentext die wichtigsten Dating-Regeln enthielt und zudem zwei Millionen Exemplare verkauft hatte. Mein Abenteuer konnte losgehen!

Wenn ich meinem neuen Ratgeber vertrauen durfte, dann hatte ich allem Anschein nach so viel Sexappeal wie ein altes Stück Blauschimmelkäse: Mein Leben lang war ich davon ausgegangen, dass es normal und gut sei, einfach offen zu sein und den ersten Schritt zu wagen. Weit gefehlt! „The Rules“ schreibt vor, man solle immer ein bisschen den Eindruck erwecken, als würde man den Partner eigentlich gar nicht so sehr mögen und daher nur selten auf Anrufe und SMS antworten. Auf gar keinen Fall dürfe man ihn um ein Treffen bitten, sondern solle darauf warten, um ein Treffen gebeten zu werden. Sprich: Immer so tun, als wäre man desinteressiert und beschäftigt, obwohl man zuhause auf dem Sofa liegt, einen „Full House“-Marathon verfolgt und insgeheim auf eine SMS von der begehrten Person wartet. Aber war das nicht kontraproduktiv? Es erinnerte mich an die Zeit, in der ich dachte, ich könne abnehmen, indem ich mich einfach nur noch von Kartoffelchips ernährte (Ich habe übrigens nicht abgenommen, nur zu eurer Information). Konnte ich wirklich das Interesse eines anderen erwecken, indem ich gemein zu ihm war? Es gab nur einen Weg, um es herauszufinden.

In einem Versuch zu retten, was ohnehin nicht mehr zu retten war, versuchte ich also, „The Rules“ bei Johannes anzuwenden. Um ehrlich zu sein finde ich die Grundaussage des Buches nicht einmal schlecht: Es geht darum, sich gegenüber der anderen Person Respekt zu verschaffen und nicht sofort in ein Taxi zu springen, wenn sie „Komm vorbei!“ sagt. Eine der wichtigsten (und lächerlichsten) Regeln ist jedoch, auf Facebook und SMS-Nachrichten erst mindestens vier Stunden später zu antworten und die Antwort kürzer als die vorherige Nachricht ausfallen zu lassen. Unsere SMS-Verläufe sahen in etwa so aus:

J: Was machst du?
M (vier Stunden später): Ich lerne.
J: Was?
M: BWL

Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass ich noch nie in meinem Leben BWL gelernt habe, aber es ist wohl das einzige Fach, das weniger Buchstaben als „Was?“ hat. So ging es eine Zeit lang hin und her, bis der Kontakt zwischen uns allmählich sein Ende fand.

Vor zwei Wochen schließlich habe ich Johannes beim Ausgehen getroffen, was mir diese ganze wirre Geschichte wieder in Gedanken rief. Wir kamen ins Gespräch und Johannes kaufte mir ein Bier (ich hoffte insgeheim, die Unterhaltung so lange führen zu können, bis er mir auch Mozzarella Sticks kaufte). Während ich daran nippte, lamentierte ich, wie schade es doch war, dass wir einander aus den Augen verloren hatten. „Um ehrlich zu sein,“ konterte Johannes, „hatte ich das Gefühl, dass du kein Interesse an mir hattest. Du warst gegen Ende irgendwie kühl und schnippisch.“ - BÄM! Und da haben wir‘s! Sobald ich an jenem Abend nach Hause kam, warf ich „The Rules“ ganz dramatisch in den Abfalleimer. Ich hatte meine Lektion gelernt: Auch wenn es sich manchmal ganz verlockend anhört, kann man Menschen nunmal nicht wie Maschinen behandeln und sich erwarten, dass alle Personen nach dem gleichen Schema funktionieren. Schade nur, dass ich ein dummes Selbsthilfebuch gebraucht habe, um zu dieser Erkenntnis zu kommen.

Wer möchte, kann in den Kommentaren seine Meinung zu Dating-Regeln teilen, sollte aber sicherheitshalber mindestens vier Stunden warten.

Facebook, wiedermal

Jodie Fosters Golden Globe Rede, sowie ein fataler All-You-Can-Eat-Ausflug bringen Michael dazu, seine Facbook- und Twitter-Abhängigkeit nocheinmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Vor ein paar Tagen traf ich mich mit Freunden beim All-You-Can-Eat-Buffet zum Abendessen. Weil wir im Dezember alle viel zu tun hatten, war es unser erstes Treffen seit zwei Monaten und ich konnte es kaum erwarten, neue Geschichten aus dem Leben meiner Mitmenschen zu hören (und so viel Fleisch zu essen, wie auf meinen Teller passte). Sobald wir uns alle begrüßt, niedergesetzt und Essen gefasst hatten, brach ich das Eis und fing an, aus meinem Leben zu erzählen: Ich sprach von meiner Berlinreise, Silvester in Paris und der Tatsache, dass ich Anfang Januar ein bisschen deprimiert war. Meine Freunde sahen mich ausdruckslos an. Was war bloß los? War ihnen aufgefallen, dass ich vorhin ein paar Spareribs in meine Tasche hatte wandern lassen (für „den kleinen Hunger zwischendurch“)? Schließlich meldete sich mein Kumpel Daniel zu Wort: „Ja, Michael, wir wissen das alles schon. Wir sind auf Facebook mit dir befreundet, folgen dir auf Twitter und lesen deine Kolumnen. Hat sich auch was getan, was du nicht im Internet dokumentiert hast?“ Oh. Ja, der Slogan von Facebook lautet „Stay connected“, aber so wie ich das mache, könnte er genau so gut „Hör auf! Du übertreibst es! STOPPE DIESEN WAHNSINN!“ lauten. Während mir also meine Freunde wiederum aus ihrem Leben erzählten, konnte ich mich nicht davon abhalten, geknickt in Gedanken zu versinken.

Wie viele von euch sicherlich wissen, hat Jodie Foster eine ergreifende Rede bei den Golden Globes gehalten. Vielleicht mache ich mich unbeliebt, aber um ehrlich zu sein fand ich Ms. Fosters Ansprache ein bisschen wirr: Die Schauspielerin sprach ein bisschen so über ihre Mutter, als wäre diese längst tot (dabei lebt sie noch), kündigte an, sich aus dem Showbusiness zurückzuziehen (nur um es Backstage wieder zu dementieren) und hat mehrere Male grundlos „I‘M FIFTY!“ geschrien. Ja, ich halte auch manchmal wirre Ansprachen, aber wenn ich es tue, wird das nicht als „inspirierend“ bezeichnet, sondern mir allerhöchstens ein Taxi nach Hause gerufen. Aber Spaß beiseite, denn ein Satz, den Jodie Foster von sich gegeben hat, hat für mich dennoch sehr viel Sinn ergeben: Sie appellierte gegen die Paparazzi-Kultur, gegen Reality-Shows und gegen die generelle mediale Überexposition. Es gibt so viele Menschen, die sich nach Privatsphäre sehnen und dennoch existieren Personen wie ich und unzählige andere, die jedes Detail ihres Lebens auf Facebook, Twitter oder Instagram teilen. All dies passiert unter dem Deckmantel des „Social Networking“, doch spätestens bei dem Abendessen mit meinen Freunden warf sich mir die Frage auf, die mich nicht mehr loslassen sollte: Bleibe ich meinen Freunden durch Facebook und co. tatsächlich verbunden, oder bewege ich mich immer weiter weg von ihnen?

Natürlich bin ich vorsichtig: In meinen Kolumnen verbiege ich Tatsachen, schreibe selten über meine Familie und andere Menschen, die ich wirklich gerne habe und ändere stets alle Namen, wodurch auch der Eindruck entsteht, als hätte ich unheimlich viele Freunde, obwohl „Daniel“, „Anton“ und „Wolfgang“ ein und dieselbe Person sind. Neuen Bekanntschaften und Dates verschweige ich zudem stets, dass ich manchmal im Internet mein Geld verdiene, denn die Erfahrung lehrte mir, dass „Michael Buchinger“ googlen einfach der größte Cockblock aller Zeiten ist. Trotz allem kann ich nicht anders, als mir wie der größte Heuchler aller Zeiten vorzukommen: In der Blüte meiner Jugend habe ich ein Video gemacht, das zeigen sollte, wie oberflächlich und unpersönlich Facebook sein kann, doch zwei Jahre später stellt sich der Sketch als self-fulfilling prophecy heraus und ich bin am besten Weg, zu eine dieser Personen zu werden, die jedes Detail ihres Alltags auf Facebook teilen, während sie vergessen, am realen Leben teilzuhaben. (Fun Fact: Wer genau hinsieht, wird merken, dass mein Hosenstall offen ist. Da habe ich einmal nicht nach unten geschaut und DAS wird dann natürlich mein beliebtestes Video. Story of my life...)

Als ich an jenem Abend mit meinen Freunden im Restaurant saß und Geschichten lauschte, die sie im Gegensatz zu mir nicht mit aller Welt im Internet geteilt hatten, fasste ich kurzerhand den Entschluss, mich aus der Facebook-Falle zu befreien und in Zukunft mehr Wert auf echte soziale Interaktionen, anstatt auf „Gefällt Mir!“-Angaben und Retweets zu legen. Ein guter Vorsatz, wie ich finde! Ich könnte an dieser Stelle einen auf Jodie Foster machen, meiner „toten“ Mutter danken und dann ankündigen, dass ich mich aus dem Internet zurückziehe, nur um des dann wieder zu dementieren, aber das scheint mir ein wenig dramatisch. Stattdessen werde ich einfach versuchen, die Balance zwischen „guter Freund im realen Leben“ und „merkwürdige Person ohne Schamgefühl im Internet“ zu finden und wünsche all meinen Lesern, dass sie ebenfalls nicht im Internet-Sumpf versinken. Wünscht mir Glück! Wenn ihr mich jetzt entschuldigt: es gibt noch eine ganze Tasche voll von alten Spareribs, die darauf wartet, von mir verzehrt zu werden.

PS: I‘M FIFTY!

Depression

Wie so viele Menschen zu dieser Jahreszeit leidet Michael unter dem Januar-Blues und nicht einmal ein Ausflug in den Sex-Shop hilft dabei, diesen zu überwinden.

Viele Leser dürften mittlerweile wissen, dass ich in der Regel ein relativ gut gelaunter Mensch bin, der allerhöchstens sein sonniges Gemüt verliert, wenn jemand die Worte „Ich finde die Glee-Version war besser!“ murmelt (die Glee-Version wird NIEMALS besser sein!). Umso mehr mag es überraschen, dass ich Anfang Januar immer furchtbar deprimiert bin. Während andere Leute wohl mit aufgefrischter Lebensenergie an einem gesunden Salat knabbern, grenzt mein momentanes Verhalten in Sachen Sonderbarkeit ein bisschen an die alte Frau aus der U-Bahn, die grundlos Sätze wie „Das ist MEIN Blumenkohl!“ schrie. Die gesamte letzte Woche habe ich zum Beispiel damit verbracht, auf meiner Ausziehcouch zu lümmeln und Trash-TV zu schauen. Ich hatte kaum sozialen Kontakt zu anderen Menschen, bei dem das Gespräch nicht mit „Vielleicht noch eine Apfeltasche dazu?“ endete. Am Dienstag habe ich gar nicht das Haus verlassen, weil ich mir einbildete, mein rechtes Auge sei an dem Tag disproportional klein gewesen. Das Schlimmste: Diese generelle Unlust, an meinem regulären Leben teilzuhaben wiederholt sich Jahr für Jahr zu annähernd der gleichen Jahreszeit. Dies stellt mich vor ein großes Rätsel: Was hat es mit dem Januar-Fluch auf sich und wie kann ich ihn brechen?

Wie immer, wenn mein eigenes Wissen nicht ganz ausreicht (was oft der Fall ist, weil ich nämlich bis vor Kurzem noch glaubte, James Cameron - der Regisseur von „Titanic“ - sei auch Premierminister des Vereinigten Königreichs), zog ich Google zu Rate. Und siehe da: Down-Phasen im Januar sind scheinbar ziemlich weit verbreitet; Wissenschafter haben sogar herausgefunden, dass der 24. Januar der deprimierendste Tag des Jahres ist. Irgendwie verstehe ich es ja, immerhin ist der gesamte Januar ein bisschen so wie der Tag nach einer großen Party (in diesem Fall Dezember), an dem wir nur mit dem Kopf in der Kloschüssel hängen. Forschungen zeigen, dass die Kälte und das Defizit an Sonnenlicht viele Menschen dazu bewegt, sich bis zu 15 Stunden am Tag zuhause zu verschanzen und dass zwei Drittel aller Paare sich zu dieser Jahreszeit trennen (was mich ein bisschen freut, weil mein Körper Endorphine ausschüttet, wenn glückliche Paare sich trennen). Natürlich finde ich es irgendwie befreiend, dass andere Leute ebenfalls unter dem Neujahrs-Trott leiden, allerdings ändert das nichts an meiner Misere, sondern trägt vielmehr dazu bei: Was müssen wir tun, um diese schlechte Stimmung zu überwinden?

Diverse Webseiten und Ratgeber schlugen vor, dass gesunde Ernährung und viel Bewegung der Schlüssel zu körperlicher und geistiger Revitalisierung wären. Diese sicherlich gut gemeinten Ratschläge haben aber allerhöchsten dazu geführt, dass ich meinem Laptop laut die Worte „DU BIST NICHT MEINE MUTTER!“ entgegenschrie und beschloss, stattdessen auf eine altbekannte Methode meine Stimmung zu heben. Okay, nennt mich merkwürdig, aber als ich noch ein bisschen jünger war und am Land wohnte, hat mich in eigenartigen und leicht deprimierten Zeiten kaum etwas in eine bessere Laune versetzt, als einen Ausflug in den Sex-Shop zu unternehmen. Ich kann dieses Phänomen am ehesten damit erklären, dass ein Sex-Shop am Land (aus welchem Grund auch immer) der traurigste Ort aller Zeiten ist - ich war meistens der einzige Besucher, der ein vollständiges Gebiss hatte. Natürlich ist es ein billiger Trick (und erinnert ein bisschen an die Tournee, bei der Britney Spears ausschließlich pummelige Tänzerinnen hatte, um im Vergleich dünner zu wirken), aber in traurigen Phasen an einen noch traurigeren Ort zu gehen, half mir irgendwie: Es war meist inmitten von Dildos und Peitschen, dass ich zu dem Entschluss kam, dass mein Leben vielleicht doch gar nicht so schlecht war.

Lasst mich euch sagen, dass es keine gute Idee ist, bei schlechter Laune in einen Wiener Sex-Shop zu gehen. Ich weiß nicht, warum, aber in der großen Stadt grenzt ein solches Etablissement geradezu an Disneyland. Schon als ich eintrat, kam mir die fröhliche Musik von Mika entgegen und dann musste ich feststellen, dass alle übrigen Besucher nicht nur relativ gepflegt und attraktiv waren, sondern auch noch all ihre Zähne, sowie (im Gegensatz zu mir) gleich große Augen hatten. Selbst jene Leute, die in der SM-Abteilung lungerten, schienen annähernd normal und fröhlich - man könnte sogar behaupten, ich wäre die merkwürdigste Person im Peitschen-Paradies gewesen (das ist mal was für den Lebenslauf!). Geknickt beschloss ich, Interesse an Lustkugeln vorzutäuschen, bis die richtigen Weirdos alle aus ihrem Versteck kamen, wie Clowns aus einem kleinen Auto. Doch das lange Warten blieb erfolglos und spätestens, als ich eine Frau erblickte, die Pornotitel durchsah, während sie einen Kinderwagen vor sich herschob, schleuderte ich die Lustkugeln zurück ins Regal und gab mich geschlagen. Dieser Sex-Shop war eindeutig zu normal und ich war eindeutig zu eigenartig.

Bedrückt zog ich mich wieder auf mein Sofa zurück und beschloss, mit meinem Trash-TV-Marathon weiterzumachen. Diesmal am Start: „Liz & Dick“; der tragische Made-For-TV-Film in dem Lindsay Lohan Elizabeth Taylor verkörpert. Zu behaupten, dass dieser Streifen wie ein Autounfall sei, von dem man einfach nicht wegsehen könne, wäre eine Untertreibung. Nein, ich finde, dass der Vergleich in diesem Fall sogar neu definiert werden muss: Das nächste Mal, wenn ich einen Autounfall sehe, werde ich stehenbleiben, aussteigen und sagen „Das ist ja wie ,Liz & Dick‘!“. Auch wenn es vielleicht fies klingt, aber: Lindsay Lohan dabei zuzusehen, wie sie Gläser gegen die Wand schmeißt und in Ohnmacht fällt, während sie versucht, all ihre Kinne hinter einem Rollkragenpulli zu verstecken, brachte mich zum ersten Mal in dieser Woche richtig zum Lachen. Und ich schöpfte Hoffnung: Ich wusste zwar noch nicht ganz wie, aber wenn Elizabeth Taylor das Jahr 1964 und Lindsay Lohan das Jahr 2012 überstehen konnte, dann würde ich das sicherlich auch mit dem Januar schaffen.

Eure Hilfe ist gefragt! Was tut ihr, um über schlechte Laune zu siegen?

Paris

Weil er einen tiefen, unbegründeten Hass für Silvester empfindet, beschließt Michael kurzerhand, den Jahreswechsel mit mürrischen Franzosen und Unmengen an Backwaren zu verbringen.

Ich kann gar nicht anfangen zu beschreiben, wie sehr ich Silvester hasse. Während dieser Tag den langweiligeren Menschen der Welt als Freipass dient, einmal im Jahr mal so richtig „crazy" sein zu dürfen (langweilige Leute lieben dieses Wort!) verläuft mein Silvester fast immer gleich: Deprimiert, keinen mir von der Filmindustrie als notwendig vermittelten Mitternachts-Kuss bekommen zu haben, betrinke ich mich meist im großen Stil und mache dann gegen 4 Uhr morgens mit einer alten Flamme auf der Herrentoilette herum, bevor ich mich im Taxi nach Hause (auf welches ich, nebenbei bemerkt, eine Stunde lang warten muss) in den Ärmel meines eigenen Mantels übergebe, um etwaigen Reinigungskosten vorzubeugen. Da es sich dabei wohl kaum um den besten und progressivsten (BÄM!) Weg handelt, ein neues Jahr einzuläuten, versuche seit mehreren Jahren, Silvester so gut wie möglich zu ignorieren (und schicke gerne mal Hass-Post an die gesamte Besetzung des Filmes „Happy New Year"). Als meine Eltern mir dieses Jahr also vorschlugen, zum Jahreswechsel nach Paris zu fliegen, war ich sofort begeistert. Denn wo könnte ich besser Silvester hassen, als bei den Franzosen, die ohnehin alles und jeden hassen?

Ich kann nicht wirklich mit einer triftigen Erklärung für meine Frankophilie dienen. Wie kann man eine Stadt an mürrischen, aber zugleich herzlichen Menschen, die es okay finden, um 9 Uhr Morgens ein Glas Weißwein zu trinken, nicht immer wieder besuchen wollen?Besonders in Erinnerung bleibt mir der Schulausflug in die französische Hauptstadt, auf dem ich von Verstopfung geplagt war. Mit gebrochenem Französisch wagte ich mich in die nächste Apotheke und bestellte ein Abführmittel. „Nimm ruhig gleich zwei davon!", rief mir der Apotheker, auf dessen Namensschild wahrscheinlich „Satan" stand, hinterher. Gesagt, getan! In jenem Urlaub entstanden unzählige Fotos, auf denen ich mit schmerzgeplagter Miene vor dem Eiffelturm stehe und mir panisch an den Bauch greife. Ein anderes Mal bin ich in der Blüte meiner Jugend völlig alleine nach Paris geflogen, um die Stadt der Liebe auf eigene Faust zu erkunden (das könnte sehr gut die traurigste Aussage aller Zeiten sein). An meinem letzten Tag habe ich einem Obdachlosen dabei geholfen, den Weg zur nächsten U-Bahn-Station zu finden. Als wir schließlich gemeinsam bei der Metro ankamen, zeigte der Mann seine Dankbarkeit, indem er mich enthusiastisch küsste. Seien es nun Apotheker, die mich töten wollen oder romantische Obdachlose: Paris ist jedes Mal erneut ein großer Spaß.

Und auch bei meiner Silvester-Reise der vergangenen Woche wusste die Stadt erneut zu begeistern: Obwohl meine Eltern und ich unsere Tage fast nur mit ewig langen Spaziergängen bei angenehmem Klima und vereinzelten Zwischenstopps in Bäckereien verbrachten, fühlte ich mich am verhassten 31. Dezember dennoch viel wohler, als es in den Jahren zuvor der Fall gewesen war. Ich verspürte nicht einmal im geringsten das Verlangen, einen Hundewelpen zu treten (und selbst wenn: Wo, wenn nicht in Paris, wäre das sozial akzeptabel?). Und weil es mir schon so gut ging, beschloss ich schließlich, meine Stärke zu testen und auf Facebook nachzusehen, was meine Freunde an jenem Tag so geplant hatten. Eigentlich hätte ich ja wissen müssen, dass das ein bisschen so ist, wie wenn ein ehemaliger Alkoholiker verkündet, er wolle „der alten Zeiten Willen" nur kurz ein Schlückchen Rotwein genießen. Denn beim Anblick all der lustigen Partyfotos auf meiner Timeline brach zugleich ein innerer Konflikt in mir aus: Ich hatte das Gefühl, als würden wie in einem Cartoon Engel und Teufel auf meiner Schulter sitzen.

„Oh, sieh dir an, wie viel Spaß heute alle haben! Es ist die beste Party des Jahres. Und sowas lässt du dir entgehen?"
„Nein, sie machen sich etwas vor! Silvester ist ein Tag wie jeder andere!"
„Aber sie essen Fondue. Du liebst doch Käse!"
„Ich kann an jedem anderen Tag des Jahres Fondue essen, wenn ich will."
„Aber sie tragen Partyhüte! All deine Freunde stoßen gemeinsam auf ein gelungenes Jahr an, nur du bist nicht dabei! Du bist so langweilig. Bestimmt fällt ihnen gar nicht auf, dass du nicht da bist. Sie glauben, die Stehlampe im Eck bist du."

Urplötzlich spürte ich das Verlangen, mir einen Partyhut, sowie eine bescheuerte Brille in 2013-Form zu kaufen, „Happy New Year" anzusehen, und immer dann feierlich in meine Tröte zu pusten, wenn sich im Film jemand küsst. Stattdessen klappte ich mein Notebook zu und beschloss, auf die Straßen von Paris zu flüchten, bevor mich der Silvester-Hype weiter einsaugen konnte. Und es funktionierte tatsächlich: Vielleicht war ich im falschen Teil der Stadt, aber Silvester auf den Straßen von Paris zu verbringen ist ein bisschen so, als würde mir ein Partner im Bett die „totale Kontrolle" überlassen - nichts passiert und ich lege mich schlafen! Niemand startete einen Countdown und auch nach Feuerwerken hielt man vergeblich Ausschau - hätte ich nicht SMSen aus der Heimat erhalten, wäre mir auch kaum aufgefallen, dass wir soeben einen Jahreswechsel hinter uns gebracht hatten. Ha. Vielleicht war Silvester doch nur ein Tag wie jeder andere. Erheitert von dieser Erkenntnis zog ich noch ein bisschen um die Häuserblocks und legte mich dann zufrieden ins Bett.

Möge 2013 ein progressives Jahr werden, in dem ich kein einziges Mal in meinen Mantelärmel kotze!

Kaufwahn

An einem besonders denkwürdigen Tag hat Michael mitten im Supermarkt einen Geistesblitz und beschließt aufgrund einer „Sex and the City“-Folge, sein Konsumverhalten ein für alle mal zu verändern.

Ich stehe gerade mit fünf Tiefkühlpizzen an der Kassa des Supermarktes und halte bereits mein Portemonnaie in der Hand, als ich plötzlich einen Sinneswandel erlebe. Eigentlich habe ich in meiner Wohnung doch den ganzen Kühlschrank voll von Essen. Wieso kaufe ich diese Pizzen überhaupt? Und wiese gleich fünf Stück davon? „Ohne mich!“, schreie ich wohl ein bisschen zu laut, packe meine Pizzen wieder zusammen und gebe sie hastig zurück ins Kühlregal, so als wäre mir plötzlich eingefallen, dass ich Salami-Pizza eigentlich nicht ausstehen kann. Obwohl manche Beobachter dieses Spektakels vielleicht ihre Hände über dem Kopf zusammenschlagen und damit argumentieren mögen, dass dieser verrückte Michael Buchinger morgens mal wieder seine Pillen mit Rotwein runtergeschwappt habe, gibt es einen triftigen Grund für mein merkwürdiges Verhalten: Ich versuche, bewusster mit meinem Geld umzugehen.

Warum aber dieser plötzliche Sinneswandel? Schwebe ich in massiver Geldnot und werde von meinen Kredithaien gejagt, oder versuche ich, meine Rechnungen mit Kaugummi zu bezahlen? Weder noch, liebe Leser - wie so viele meiner Lebenskrisen wurde auch meine neueste Erleuchtung von einer „Sex and the City“-Folge, die ich am Vortag gesehen hatte, herbeigeführt. Es handelt sich dabei um die Episode, in der Carrie und ihr Freund Stanford auf der Party einer Freundin und Kindesmutter sind. An der Tür wird Carrie gebeten, ihre teuren Schuhe auszuziehen, was leider darin resultiert, dass diese gestohlen werden. 90% der Folge bestehen nun daraus, dass Carrie versucht, ihre Freundin zum Bezahlen des gestohlenen Paars zu bringen, doch diese versteht die Situation nicht und argumentiert, dass sie nun Mutter sei und keine Zeit für solche Blödheiten habe. Hier fängt die Kacke erst richtig zu dampfen an, denn Carrie stellt in Frage, ob jede Frau zur Selbstverwirklichung Hausfrau und Mutter werden muss. Sie kommt mehr oder weniger zu folgendem Entschluss: Nein, ich kaufe teure Schuhe für mich selbst, also bin auch ich eine Frau.

Die Aussage der Episode spielt auf die feministische Welle der 1960er Jahre an, als Frauen anfingen, sich von ihrem eigenen Geld hochpreisige Kleidungsstücke zu kaufen, um ihre Unabhängigkeit zu beweisen. Vom Feminismus mal ganz abgesehen, brachte mich dieser historische Fakt zum Nachdenken: Unabhängigkeit ist toll, aber treiben wir es nicht manchmal ein bisschen zu weit, sodass das genaue Gegenteil - nämlich Abhängigkeit - eintritt? Immer öfter kaufe ich Dinge nicht weil ich sie brauche, sondern weil ich von Langeweile oder schlechter Laune befallen bin und die Werbung mir sagt, dass es mir besser geht, wenn ich einkaufe. Mache ich mich damit nicht wiederum vom Konsum abhängig? Obwohl diese Angewohnheit sicher immer noch besser ist als eine Nikotin- und Drogen-Sucht, ist es doch ein wenig merkwürdig, wenn ich mich beim Strandurlaub mit der Familie kurz auf mein Zimmer entschuldige, um online an einer Pelz-Auktion teilzunehmen und den anderen Usern Hass-Nachrichten zu schicken, falls sie mich nicht gewinnen lassen. Sicherlich würde ich schon bald von meinen Eltern unter dem Vorwand einer „Käse-Verkostung“ in einen Hinterhalt gelockt werden, wo sie mir dann erklären, dass meine Kaufsucht die Familie zerstört.

Doch es gibt Hoffnung: Wie ihr vielleicht wisst, habe ich vor gut einem Monat 70% meiner Kleidung auf einem Flohmarkt gekauft und bin überrascht, dass mir diese Stücke überhaupt nicht fehlen. Kein einziges Mal habe ich mir gedacht „Ach, hätte ich doch den Sombrero nicht verkauft, er würde heute so gut zu meinem pfiffigen Poncho passen!“ Ich bin genau so zufrieden mit meinem Leben wie zuvor und habe gelernt, dass meine Kleidungsstücke und Besitztümer mich nicht zu dem machen, was ich bin. Und weil das so gut geklappt hat, dachte ich mir „Warum bei Kleidung aufhören? Es ist der perfekte Moment, um mein allgemeines Kaufverhalten zu ändern!“ Weil ich aber nicht daran glaube, dass wir einen Jahreswechsel brauchen, um bessere Menschen zu werden (genauso, wie man Diäten nicht erst „am Montag“ anfangen muss), habe ich schon mehrere Wochen vor Silvester den Vorsatz gefasst, nur Dinge einzukaufen, die ich auch tatsächlich brauche, anstatt unnützen Krempel, den ich nur dazu benötige, um Leute zu beeindrucken, die ich nicht leiden kann.

Seit diesem befreienden Entschluss nerve ich meinen gesamten Freundeskreis mit meiner Philosophie und bin dafür bekannt, auf Geburtstagspartys die reich-beschenkten Gastgeber mit erhobenem Zeigefinger und den Worten „Es freut mich, dass du so viele Geschenke bekommen hast, aber wenn du nicht aufpasst, werden deine Besitztümer bald dich besitzen!“ zu warnen. (Irgendwie werde ich in letzter Zeit nicht mehr so oft auf Partys eingeladen). Als ich an jenem denkwürdigen Tag die Tiefkühlpizzen also wieder zurück ins Kühlregal legte, hatte ich ein überraschend befreites Gefühl. Es wird sich zeigen, wie lange es mir gelingen wird, diesen Vorsatz zu halten, doch ich werde mein Bestes tun, meine Impulskäufe in Grenzen zu halten. Auch wenn das bedeutet, dass die Tiefkühlindustrie im Jahr 2013 schwere Umsatzrückgänge erleiden wird.

Wie lauten eure Vorsätze für das neue Jahr? Ich wünsche euch einen guten Rutsch, liebe Leser!

Berlin

Undercut und Jutebeutel, ich trinke Club Mate oder gibt's den Caffè Latte auch mit Sojamilch?“ Michael wagt einen Spontan-Trip in die Hipster-Hauptstadt Berlin und kehrt krank und verletzt wieder in die Heimat zurück.

Als ich am vergangenen Freitag mit meinem prallen Koffer und pochendem Schädel meine Wohnung betrat, fühlte ich mich tatsächlich dem Weltuntergang nahe. Hastig griff ich nach einer Schmerztablette, schwappte sie mit einem Glas Leitungswasser herunter, und zog kurz in Betracht, das Glas wütend gegen die Wand zu werfen und „Ich kann nicht mehr!“ zu rufen, um meiner Situation ein bisschen dramatisches Flair zu verleihen. Stattdessen verschonte ich meine Glaswaren, griff lieber zum Telefon und rief meine Verabredung für den Abend an, mit der ich eigentlich zu einer Weltuntergangs-Party gehen wollte. „Bernhard? Hallo, ich bin es, Michael. Ich komme gerade aus Berlin...“ krächzte ich mit einer Lindsay-Lohan-artigen Stimme in den Apparat und betrachtete dabei die Brandwunde an meiner Hand. Bernhard fiel mir ins Wort. „...und du bist von der durchgehenden Party dort erschöpft und möchtest mir für heute Abend absagen?“ - „Ja genau, ich hoffe du bist mir nicht böse...“ - „Nein nein, kein Problem, ich verstehe das. Ruh dich ruhig aus!“, vergewisserte mir mein Freund verständnisvoll und legte auf. Das war ja einfacher als gedacht.

Was viele Außenstehende nicht wissen, ist, dass in der Wiener Partykultur Berlin die absolute Spitzenausrede für alles geworden ist. Für „coole“ Leute (sprich: alle außer mich) ist es zum Brauch geworden, die österreichische Hauptstadt alle paar Monate hinter sich zu lassen und nach Berlin zu pilgern, um in der Stadt der Alternativ-Kultur all das zu tun, wofür Wien zu konservativ ist, nur um dann völlig ausgepowert von der durchgehenden Party und mit Verletzungen am ganzen Körper wieder nach Österreich zurückzukehren. „Ich kann leider nicht kommen, ich bin gerade/komme gerade aus/fliege morgen nach Berlin“ ist, in anderen Worten, das neue „Ich habe Durchfall“ - ein geflügelter Satz, den ich schon unzählige Male als Absage auf Einladungen zu meinen ausgelassenen „Mamma Mia!“-Sing-Along-Abenden erhalten habe. Als mir meine Schwester also den Vorschlag machte, mit ihr und zwei unserer Freundinnen die deutsche Hauptstadt unsicher zu machen, musste ich nicht lange überlegen, sagte freudig zu und kommentierte bei jeder bevorstehenden Facebook-Veranstaltung, dass ich leider nicht kommen könne, da ich mich in Berlin befinden würde. Vielleicht würde ich im Zuge meiner Reise ja gleich erfahren, was viele Wiener so toll an der Hipster-Metropole fanden.

Mein erster Eindruck von Berlin war, dass die Stadt - obwohl sie wie eine einzige riesige Baustelle wirkt - eigentlich überraschend ruhig ist. Einer der Hauptgründe, warum ich mich so bereitwillig für diesen Kurztrip entschieden habe, ist der, dass mir Wien - so gern ich es sonst auch habe - in der Vorweihnachtszeit mächtig auf den Geist geht. Dort ist es dieser Tage nahezu unmöglich, 200 Meter zügig durchzugehen, ohne dass nervige Straßenverkäufer mit Mozartkugeln nach einem werfen oder Touristen, die scheinbar nach dem Motto „Ich halte es für eine gute Idee, in der Rush Hour einfach mal mit meiner gesamten Reisegruppe mitten am Bürgersteig stehen zu bleiben!“ den Gehweg blockieren. In Berlin dagegen sind die Leute überraschend zackig und die U-Bahnen im Vergleich zu Wien furchtbar schnell; deshalb ist es uns schon am ersten Tag gelungen, die wichtigsten Sehenswürdigkeiten zu bewundern, um dann den restlichen Urlaub mit den essentiellen Dingen des Lebens (Essen und Einkaufen) zu verbringen. Obwohl die Stadt ein wenig unübersichtlich auf mich wirkte und ich beim schieren Anblick des verwirrenden U-Bahn-Plans manchmal langsam bis 10 zählen musste, um die Fassung zu bewahren, war ich dennoch begeistert.

Doch schließlich nahm das Unheil seinen Lauf: Da ich eines Morgens ein bisschen in Eile war, verließ ich kurzerhand das Haus mit nassem Haar und hatte leider die Rechnung ohne die Berliner Kälte gemacht. Nun leicht erkältet versuchte ich, meine Krankheit mit massig Tee und Kaffee auszukurieren. Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass es mir nahezu unmöglich erschien, in Berlin eine anständige Tasse Kaffee zu erhalten. Ja, man möchte sogar meinen, ich hätte in den meisten Fällen explizit nach „Braunem Wasser mit verbranntem Popcorn-Geschmack“ verlangt, aber das war nicht der Fall. Gerade, als ich eben einen heißen Pappbecher voller Popcorn-Wasser entgegennahm, verschüttete ich diesen über meine Hand und zog mir eine tolle Brandwunde zu. Zum Glück gelang es mir, meine Gesundheit für den restlichen Berlin-Aufenthalt halbwegs aufrecht zu erhalten, sodass ich noch Klassiker wie das weihnachtliche KaDeWe oder das entzückende Café Barcomi‘s Deli (endlich! Guter Kaffee!) abklappern zu können, doch spätestens am Rückflug nach Wien brach ein kesses Fieber bei mir aus.

Als ich an jenem Abend (welcher ironischerweise auch der Abend des Weltuntergangs hätte sein sollen) also mit pochendem Schädel in meinem Bett lag und zitternd einen Kamillentee zu mir nahm, war ich wohl der einzige, der wusste, dass ich mich nicht in diesem Zustand befand, weil ich in Berlin so hart Party gemacht hatte. Ich habe mir weder auf einem Hipster-Konzert die Stimme heiser geschrieen, noch habe ich mich auf einer supergeheimen Rave-Party unter einer verlassenen Brücke wiedergefunden. Keiner meiner Freunde weiß, dass ich aus purer Erschöpfung jeden Abend schon um 20 Uhr im Bett war und mich bloß in meinem momentanen Zustand befand, weil ich der Überzeugung bin, dass Haare-Föhnen überbewertet ist. Und obwohl ich jetzt ein bisschen einer wandelnden Leiche ähnle (wer erinnert sich an den Film „Immer Ärger mit Bernie“ aus den 80ern? Das bin ich!), hatte ich eine wunderbare Zeit in der deutschen Hauptstadt und habe ihr sicherlich nicht meinen letzten Besuch abgestattet.
Ich wünsche euch frohe Feiertage, liebe Leser! Möget ihr sie gesund gesund überstehen. Und falls ihr weitere Berlin-Tipps für mich habt, so zögert bitte nicht, mir diese in den Kommentaren zu hinterlassen!

Rasuren

Wenn dir das Leben einen Rasierapparat gibt, dann teste ihn an deinen unschuldigen Freunden. Eine waghalsige Exkursion in die „rasante Welt der Rasuren".

Ich war gerade mit meinem alten Freund Max im Kaffeehaus, als mir allmählich die Smalltalk-Themen ausgingen. „Ich darf jetzt einen Rasierer von Braun testen," schilderte ich daher zwischen den Bissen meiner Schokotorte und konnte ja nicht ahnen, welch Unheil mir bevorstand. „Den cruZer.", erläuterte ich. Die Augen meines Gegenübers weiteten sich und um ein Haar hätte er mir vermutlich vor Aufregung seinen Kaffee ins Gesicht geprustet. „Den cruZer? Den will ich mir schon seit Monaten kaufen. Kannst du ihn mir vielleicht mal borgen?" Die Unterhaltung war in Windeseile wieder belebt und für die gefühlte nächste Stunde lauschte ich einem Monolog über die Wichtigkeit einer guten Rasur. Denn wie sich zeigen sollte, ist Max ein wahrer Rasier-Liebhaber (eine Gattung an Menschen, die ich kurzerhand in die gleiche langweilige Schublade wie „Hobby-Bastler" und „Leute, die gerne Vögel in freier Wildbahn beobachten" steckte) und verkehrt sogar des Öfteren auf der Webseite shaveyourstyle.com, die über die Bart-Datenbank „Wikibeardia" (Wortspiel!) verfügt. Cool! Aber war meine spannende Erzählung über „Natürlich Blond - das Musical!" gerade tatsächlich von einem Rasierapparat übertrumpft worden? Ja. Willkommen in meinem Leben.

Ich konnte ja nicht ahnen, dass Rasieren im Moment so trendy ist (aber wiederum bin ich auch kein Trend-Maßstab, weil ich immer noch gebannt darauf warte, dass Crocs endlich ihr Comeback machen). Vielleicht ist meine Gleichgültigkeit gegenüber der „rasanten Welt der Rasuren" auf meine Kindheit zurückzuführen: Während eines besonders prägenden Paris-Urlaubs begleitete ich meinen Vater - seines Zeichens Rasier-Enthusiast der alten Schule - in eisigem Wetter von Rasierladen zu Rasierladen, um den perfekten Nassrasierer und den dazu passenden Pinsel zu finden. Ich persönlich wollte eigentlich nur ins Disneyland. Obwohl diese Rasier-Mission nicht geglückt ist, habe ich mir an jenem Tag eine Erkältung eingefangen und konnte erst recht nicht ins Disneyland. Rasuren sind mir spätestens seitdem unsympathisch: Ich kann nicht nachvollziehen, warum mein eigener Vater Unmengen an Kosten und Mühen in diesen eintönigen Prozess investierte. Ich persönlich habe es ja ganz gerne, mir Wattestäbchen ins Ohr zu stecken. Dennoch  reise ich nicht nach Indien und begebe ich mich nicht auf die Suche nach dem „perfekten" Wattestäbchen (wobei...2013 vielleicht).

Obwohl ich den Rasier-Enthusiasmus meines Vaters nicht geerbt habe, darf ich sehr wohl den starken Bartwuchs meiner böhmischen Vorfahren mein Eigen nennen; auf manchen Buchinger'schen Familienfeiern sind sogar die Damen mit edlem Schnauzbart anzutreffen. Spätestens jeden zweiten Tag greife ich daher zu billigen Einwegrasierern, die ich öfter wieder verwende, als ich an dieser Stelle zugeben möchte. Das Ergebnis ist meist so ungleichmäßig, dass ich regelmäßig von meinem lieben Herrn Papa getadelt und als „borstige Vogelscheuche" bezeichnet werde. Als mir also der cruZer von Braun überreicht wurde, war ich aufgeregt: Nicht nur würde ich endlich eine anständige Rasur genießen, sondern vielleicht auch bald meinem Vater in dieser Hinsicht das Wasser reichen können.

Mit einem kessen Drei-Tages-Bart, mit dem ich vielleicht schon als „bärtige Dame" im Zirkus hätte durchgehen können, nahm ich also das neue Gerät aus der Verpackung. Im Handumdrehen war der Akku aufgeladen und ich befestigte den Bart-Aufsatz (1mm bis 11mm) auf dem Apparat. Bis jetzt war ja alles ganz gut gelaufen. Dann begann ich, mit der eigentlich Rasur...woraufhin nichts passierte. Es schien mir sogar, als wären meine Barthaare danach sogar länger gewesen. Kritisch musterte ich nochmal die Aufschrift. „cruZer Beard & Head: Stutze mit diesem vielseitigen Gerät Vollbärte und schneide Haare auf jede gewünschte Länge.". Oh, okay. Da ich aber nur einen leichten Bart habe, wäre der „cruZer Face" (insgesamt gibt es vier verschiedene cruZer-Geräte) wohl geeigneter für mich gewesen. Nun blieb mir wohl nur noch die Möglichkeit, mir den Schädel zu rasieren. Dieser abstruse Gedanke hatte jedoch lediglich zur Folge, dass ich vor Lachen beinahe meinen Drink verschüttete (ja, ich trinke gerne, wenn ich mich rasiere). Das Gerät war, in anderen Worten, nicht für mich geeignet und die Situation ein bisschen so, als hätte man einem Holzbein-Träger Steppschuhe zum Testen geschickt. Kurzerhand hatte ich jedoch eine andere Idee und griff hastig zum Telefon.

„Max, ich komme vorbei und rasiere dich!" - eine der wenigen Vorteile an einer Freundschaft mit mir ist der, dass ich manchmal frühmorgens vorbeikomme und Kosmetikbehandlungen an anderen durchführen möchte. Der Bart meines Freundes ist sehr viel länger und dichter als meiner und da er sich beim Kaffee ohnehin so Rasier-begeistert gezeigt hatte, schien es mir nur angebracht, das Gerät an ihm zu testen. Eine halbe Stunde später war ich auch schon vor seiner Haustür und startete den zweiten Versuch. Und siehe da: Bei längeren Bärten ist der cruZer äußerst funktionstüchtig - und dabei überraschend leise! Kurzerhand trimmte ich das ungepflegte Barthaar meines Freundes auf 5mm, sang dabei das ein oder andere Lied aus „Sweeney Todd" und kam zu dem Entschluss, dass Brauns „cruZer Beard & Head" ein wirklich nützliches Gerät ist, wenn man es nur an den richtigen Menschen anwendet. Ich persönlich muss wohl oder übel bei meinen billigen Nassrasierern bleiben.

Konnte ich meinen Vater im Endeffekt mit meiner perfekten Rasur beeindrucken? Nein, aber ich verstehe nun ansatzweise, warum ihm (und scheinbar allen anderen Menschen außer mir) ein gepflegter Bart so wichtig ist: In einer Welt, in der die stilistische Grenze zwischen „Hipster" und „Obdachloser" eine sehr verschwommene ist, benötigt Mann von Welt nunmal getrimmte Gesichtsbehaarung, um Missverständnissen vorzubeugen. Es ist mir nun ein Vorsatz für 2013 geworden, mich sorgfältiger um mein Gesichtsbehaarung zu kümmern und allmählich mein böhmisches Vogelscheuchen-Image abzulegen. Aber bis es so weit ist, lade ich alle Leser herzlich dazu ein, sich von mir rasieren zu lassen

Für mehr Informationen zu den Braun cruZer Produkten besucht:
www.braun.com/cruzer

Glee

Ein Gespräch mit einem überambitionierten Freund führt dazu, dass ich meine eigenen Lebensentscheidungen in Frage Stelle, „Glee“ verteufle und meine triste Philosophie mit euch teile.

Als ich vergangene Woche die vorweihnachtliche Zugreise in mein Heimatdorf am Land anstrebte, traf ich am Bahnsteig meinen Kumpel Johann, mit dem ich vor Ewigkeiten in der Schule mal ganz gut befreundet war. Mit meinem kleinen Köfferchen gesellte ich mich an seine Seite und hakte nach, was sich im Leben meines alten Freundes so tat. Sehr viel, wie er mir zu wissen gab, denn Johann studierte nun Wirtschaft und verfiel sofort in einen Monolog darüber, dass er mitten im Leben stehe und die nächsten fünf Jahre seines Daseins schon genau geplant habe. (Inzwischen versuchte ich in Gedanken zu eruieren, welchen Wochentag wir gerade hatten) Natürlich freute ich mich für meinen Kumpel, doch fühlte mich sofort ein wenig schlechter: Wenn ich vorausplane, dann in der Regel nur bis zur nächsten Hauptmahlzeit. Als Johann seinen Redeschwall endlich beendete, saßen wir bereits im Zug. Ich wusste, was nun kommen würde. Mein Gegenüber stellte mir die  verhasste Frage, die mir von meinen Mitmenschen in letzter Zeit sehr oft gestellt wird: „Und Michael, was machst du so mit deinem Leben?“.

Ich hasse diese Frage ohnehin schon so sehr, aber sie beantworten zu müssen, nachdem Johann gerade aus seinem eindrucksvollen Lebenslauf erzählt hatte, war ein bisschen so, als müsse man eine Jury beeindrucken, nachdem Susan Boyle sie soeben mit ihrer tragischen Story und ihrem himmlischen Gesang eingelullt hatte. „Ich studiere Englisch!“, antworte ich meinem Gegenüber und konnte dabei ja nicht ahnen, welche Kettenreaktion diese harmlose Antwort auslösen würde. „Nur Englisch? Was machst du sonst den ganzen Tag?“, feuerte Johann nämlich ein wenig frech zurück und spätestens das war der Moment, in dem alle Zugpassagiere froh sein sollten, dass ich nie den Waffenschein gemacht habe. Weil ich kurzerhand nicht mit einer aufregenderen Erklärung darüber dienen konnte, wie ich nun meine Zeit verbringe, war mir klar, dass mein Gegenüber mich nun für ambitionslos hielt und vermutlich auch glaubte, dass ich entweder ein Drogenproblem hätte, oder aber die meisten meiner Stunden damit verbringe, heimlich für ein Papst-Attentat zu trainieren. Doch beides ist nicht der Fall!

Ich verstehe wirklich nicht, was gewisse Personen an meiner Tagesgestaltung und meiner Zukunftsplanung so sehr auszusetzen haben. Nein, ich arbeite nicht von 9 bis 17 Uhr in einem Büro. Ich bin mir nicht mal sicher, ob das tatsächliche Bürozeiten sind und beziehe dieses Wissen nur aus dem Dolly Parton-Song „9 to 5“. Ich möchte später auch nicht irre „erfolgreich“ werden, solange ich halbwegs zufrieden bin. Zudem wirkt die Tatsache, dass ich mein Geld im Internet verdiene, oft nicht nur unkonventionell, sondern auch furchtbar verstörend auf meine Mitmenschen, weswegen ich dieses Detail verschweige. Doch es war bereits zu spät: Wie so viele der Kritik, die von außen kommt, hatte auch diese nagende Frage bereits ihren Weg in mein Unterbewusstsein gefunden und ich fing an, meine ganze Existenz in Frage zu stellen: Ja, was mache ich eigentlich den ganzen Tag? Was mache ich überhaupt mit meinem LEBEN? Wieso habe ich nur ein Studium? Noch dazu habe ich weder Liebesbeziehung, noch Mitbewohner, um die ich mich kümmern könnte. Allmählich entwickelte ich innere Unruhe und das brennende Verlangen, sofort einen Stepptanzkurs zu belegen.

Wie immer in derartigen Situationen, wurde ich grundlos wütend auf (wie sollte es auch anders sein) unsere Gesellschaft im Allgemeinen und die Serie „Glee“ im Speziellen. „Glee“ ist der Teufel in Musical-Form! Denn seit die Serie im Fernsehen kommt, scheint es mir, als würde es nicht mehr reichen, wenn wir halbwegs gut in der Schule sind und irgendwann unseren Abschluss haben. Nein, nein, nein! Wir müssen jetzt alle nicht nur einen Plan, sondern auch einen „Traum“ haben; ein Ziel, das wir solange verfolgen, bis wir es endlich erreicht haben. Einfacher Angestellter werden ist nicht mehr cool: Wir müssen etwas Wunderbares und Individuelles mit unserem Leben anfangen wollen und diesem sehnlichsten Wunsch am besten durch Gesang und Tanz Ausdruck verleihen können. Johann hatte ohne Zweifel einen genauen Plan von seiner Zukunft und es hätte mich auch nicht gewundert, wenn er in eben jenem Zugabteil angefangen hätte, mit Stock und Zylinder „Anything You Can Do, I Can Do Better“ zu singen. Johann konnte das sicher.

Okay, es ist nicht so, als hätte ich keine Ambitionen, doch erlaubt mir, an dieser Stelle meine relativ triste, wenngleich realistische Lebensphilosophie zu teilen: Ich erwarte mir nie zu viel. Natürlich wünsche ich mir, in ein paar Jahren ein bisschen Erfolg zu haben, aber ich hasse es, mir wie Johann gedanklich konkrete Pläne festzulegen (und diese noch dazu unschuldigen Zugpassagieren zu offenbaren) und mich selbst unter Druck zu setzen, da ich mal davon ausgehe, dass die Dinge in 90% der Fälle ohnehin ganz anders kommen. Im Grunde genommen möchte ich mir Enttäuschung ersparen: Bis ich meine persönlichen Ziel erreiche, könnte ja immerhin schon die Welt untergegangen, oder aber der Zug, in dem wir uns gerade befinden, entgleist sein, weswegen ich versuche, mehr im Moment zu leben, anstatt Luftschlösser in der Zukunft zu bauen. Neben dieser Erkenntnis hatte diese monotone Zugfahrt aber noch einen Vorteil: Während Johanns Redeschwall erneut in einen eintönigen Monolog ausartete, ist mir endlich eingefallen, welchen Wochentag wir hatten. Es war Donnerstag!

Kleider machen Leute

...und Kleider machen auch, dass dich gewisse Personen auf die offene Straße schubsen. Diese Woche verkaufte ich den Großteil meiner Kleidung auf einem Flohmarkt, doch bevor ich das tat, reflektierte ich noch darüber, was mir gewisse Kleidungsstücke bedeuteten.

Als ich noch ein kleines Kind war, konnte ich zwei Dinge partout nicht verstehen: Alkohol und Mode. (Ja, liebe Leser: Sehr viel hat sich seitdem verändert) Es schien mir unbegreiflich, dass meine große Schwester das Gros ihres Taschengeldes stets für Kleidung ausgab. Sie hatte doch bereits einen ganzen Kasten voll von T-Shirts, Kleidern, Röcken, Hosen usw. und damit definitiv genug, um jeden Tag für die nächsten zwei Monate etwas anderes tragen zu können. Dennoch unternahm sie regelmäßige Trips in die Shoppingmeilen der benachbarten Kleinstadt, um noch mehr Kleidung zu kaufen. Wozu das alles? Wie konnte man nur so viel Zeug brauchen? Gut 15 Jahre später sitze ich den Tränen nahe in einem Haufen von unsortierten Kleidungsstücken, die nicht mehr in meinen Kasten passen, und stelle in Frage, ob 9 Uhr Vormittag wirklich zu früh für ein Glas Gin ist. Welche dieser Stücke sollte ich bloß auf dem mir am Samstag bevorstehenden Flohmarkt verkaufen? Welche sollte ich behalten? Das Blatt hatte sich gewendet und das Schicksal mich eingeholt: Der einst so unbegreiflich wirkende Kleider-Fluch lastete nun auch auf mir.

70% der E-Mails, die ich erhalte, beinhalten Fragen über meine Kleidung (die anderen 30% sind, nebenbei bemerkt, Angebote für Penisverlängerungen - und kein einziges hat funktioniert...). Wieso ziehe ich mich so merkwürdig an? Wo kaufe ich meine Kleidung? Stehle ich sie etwa bewusstlosen Drag-Queens, die ich nach der Pride Parade in meiner Gegend finde? Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass mein ausgefallener Kleidungsstil auf meine Mutter zurückzuführen ist (Freud lässt grüßen!). Im Alter von 13 Jahren war ich mit meinen Eltern in Paris, als mir Mama ohne sonderlich viel zu fragen mein erstes Shirt mit tiefem Ausschnitt kaufte. Schon am nächsten Tag trug ich es über einem Polo-Hemd zum Tee. „Gut siehst du aus,“ flüsterte mir meine Mutter ins Ohr „aber vielleicht solltest du das Shirt mal ohne dem Hemd tragen!“. Gesagt, getan, und am selben Abend erschien ich mit tiefem Ausschnitt zum Abendessen. Die französische Madame am Nachbartisch starrte während ihres 3-gängigen Menüs fast die ganze Zeit in mein Dekolleté und das fand ich witzig. Hier war ich: Ein 13jähriges, männliches Mauerblümchen, dass nun tatsächlich einmal beachtet wurde. Dieses Shirt besitze ich bis zum heutigen Tag: Ich passe zwar nicht mehr rein, aber ich hebe es trotzdem auf.

Dass mir meine Mutter damals zuflüsterte, ich solle mich mal auffälliger kleiden, war in etwa so, als hätte mal jemand zu Charlie Sheen gesagt „Hey Charlie, sei mal ein bisschen lockerer! Nimm doch ein bisschen Koks!“. Ein Feuer wurde entfacht. Es machte mir irgendwie Spaß, die Blicke anderer Menschen auf mich zu locken und man könnte behaupten, dass ich es schon bald ein bisschen zu bunt mit meiner Kleiderwahl trieb. Nicht immer stieß ich auf Applaus, wenn ich in einer funkelnden Jacke in der Dorfdisko aufkreuzte (ich wünschte übrigens generell, die Leute würden applaudieren, wenn ich einen Raum betrete. Kann sich bitte jemand darum kümmern?), aber es war mir ein witziges Projekt geworden, die Grenzen der gesellschaftlichen Akzeptanz zu testen. Nicht immer ging das heiter aus.

Vor ein paar Jahren ging ich mit meinem damaligen Freund, der sich noch ausgefallener kleidete als ich (Ja! Es ist möglich!), die Straße entlang, als er von einer Gruppe älteren Passanten angepöbelt wurde. Ich möchte nichtmal wiedergeben, was sie gesagt haben und es ist auch gar nicht so wichtig. Jedenfalls habe ich mich mit meinen damals 17 Jahren ein bisschen überschätzt und eine meiner typischen, bissigen Bemerkungen zurückgefeuert...woraufhin ich von einem der Typen mit voller Wucht auf die Straße gestoßen wurde. Es schien mir so lächerlich, dass er sich allen Ernstes aufgrund eines Stück Stoffes prügeln wollte, das dem Rowdy scheinbar absolut den Tag vermiest hatte. Spätestens in jenem Moment lernte ich, dass Kleidung eben doch nicht „nur Stoff“ ist, sondern durchaus heftige Reaktionen bei anderen Menschen auslösen kann. Da wir uns glücklicherweise mitten auf der größten Einkaufsstraße Wiens befanden, hatte ich bereits Sekunden nach dem Schlag eine Armee an freundlichen Fremden hinter mir, die mir zu Seite standen, sodass sich unser Gegner schnell aus dem Staub machte. Ganz abgesehen davon, dass es mir egal ist, was die anderen Leute von meiner Kleidung denken, kann ich das Outfit jenes Tages einfach nicht mehr anziehen, weil ich zu viele negative Erinnerungen damit verbinde. Entschlossen lege ich es auf den „Verkaufen“-Stapel.

So mache ich den ganzen Tag weiter und der Stapel mit den Dingen, die ich auf dem Flohmarkt verkaufen werde, wird größer und größer. Klar, als alter Nostalgiker muss ich einige Sachen, die ich mit guten Erinnerungen verbinde, behalten: Hierzu zählen schnulzige Outfits von schönen ersten Dates und anderen persönlichen Errungenschaften. All jene Kleidungsstücke, die ich mit schlechten Erinnerungen wie der obigen assoziiere (oder aufgrund meiner Vorliebe für Frittiertes einfach nicht mehr tragen kann...), lege ich auf den „Verkaufen“-Stapel. Während ich nach und nach alles Überflüssige aussortiere und nur die wenigen Dinge behalte, die mir auch tatsächlich etwas bedeuten, bekomme ich den Eindruck, als würde ich auch meine „merkwürdige“ Kleidung mittlerweile nicht mehr brauchen, um mich beachtet zu fühlen. Ha ha, Triumph! Wenn ihr diese Kolumne also lest, meine lieben, werde ich bereits mit einem Glas Gin in meiner entrümpelten Wohnung liegen und bereit für einen modischen, sowie geistigen Neuanfang sein.

Twilight

Am vergangenen Donnerstag feierte der letzte Teil der „Twilight“-Saga im Kino Premiere. Ein gewisser Kolumnist ist unabsichtlich (und betrunken) in den Kinosaal gewandert und kann sich ein Urteil nicht verkneifen.

Als ich am vergangenen Donnerstag mit nicht mehr als einem Salat im Magen bereits um 16 Uhr mit meinem Alkoholkonsum am Adventsmarkt anfing, wusste ich schon, dass der Tag wohl nicht allzu glorreich enden würde. Kurz zuvor hatte ich noch mit einem Freund vereinbart, am selben Abend gemeinsam ins Kino zu gehen, um die lang-ersehnte Verfilmung unseres Lieblingsbuches „The Perks of Being A Wallflower“ zu sehen. Als ich mich also um 20 Uhr mehr als angeheitert auf den Weg in eben jenes Kino machte, erwartete mich auch schon der erste Schlag ins Gesicht. „Michael, du hast falsch recherchiert. Unseren Film spielt es hier gar nicht, sie zeigen heute nur ,Breaking Dawn Teil 2‘, den letzten ,Twilight‘-Film!“. Unter dem Motto „Wenn dir das Leben Zitronen gibt, wirf sie weg und schau stattdessen einfach Breaking Dawn Teil 2!“ gaben wir uns kurzerhand mit dem Alternativprogramm zufrieden und fanden uns schließlich in einem überfüllten Kinosaal unter unzähligen Teenie-Mädchen wieder.

Hier ein kleines Geständnis: Es gab eine Zeit in meiner Jugend, in der ich mich tatsächlich mit der Vampir-Saga von Stephenie Meyer auseinandergesetzt habe. Es war weniger die eigentliche Geschichte um die sterbliche Bella und ihren Vampirfreund Edward, als vielmehr die schwebende Melancholie und bedrückende Stimmung in den Büchern, die mich faszinierte. Obwohl die ersten beiden Bände ganz okay sind (und übrigens nur halb so lang wären, wenn man all die beknackten Adjektive wie „topasfarben“ wegließe), liest sich spätestens der dritte Teil ein bisschen wie Das Buch Mormon. Okay: Autorin Stephenie Meyer ist Mormonin und das akzeptiere ich. Dennoch nervt es mich sehr, wenn Schriftsteller ihre religiösen Überzeugungen unterschwellig in ihre Werke einfließen lassen und ich finde, dass das bei Twilight sehr stark der Fall ist. Diese Tatsache, gepaart mit der Erkenntnis, dass selbst Courtney Love für junge Mädchen ein besseres Vorbild als Bella wäre (im zweiten Teil will sie sich von einer Klippe werfen, weil Edward sie verlassen hat), beschloss ich, meine Nerven zu schonen und mit der Lektüre aufzuhören.

Weil es immer zwei Seiten der Medaille gibt, beschloss ich - anstatt Twilight für immer und ewig zu verfluchen -, meinen damaligen Frust lieber in einer ulkigen und relativ sinnlosen Parodie auf YouTube Ausdruck zu verleihen. Bis zum heutigen Tag bleibt diese Persiflage eines meiner erfolgreichsten Videos, weswegen ich Twilight vermutlich mehr zu verdanken habe, als ich an dieser Stelle ausdrücken könnte.

Gut drei Jahre nach meinen 15 Minuten Internet-Ruhm saß ich also in einem Kinosaal voller Vampir-Fans und war nur wenige Minuten davon entfernt, den letzten Teil der epischen Saga zu sehen. Würde ich mich wie vor einigen Jahren erneut für die Geschichte begeistern können? Oder würde ich sie doof finden und vorzeitig den Kinosaal verlassen? Und würde es Kristen Stewart gelingen, ihre Lippen in eine Halbkreis-artige Form zu kräuseln, die normale Menschen auch als „Lächeln“ bezeichnen? All das sollte sich in den kommenden zwei Stunden zeigen.

Ohne an dieser Stelle zu viel vom Film verraten zu wollen, habe ich dennoch eine sehr interessante Beobachtung gemacht: In „Breaking Dawn“ gibt es keine komödiantische Auflockerung. Bella Swan hat keinen schwulen besten Freund, der ihr sagt „Oh Girl, das nächste Mal wenn du deine Periode hast, machen wir besser einen Roadtrip nach MALIBU!“ und auch Betty White hat leider keinen Gastauftritt als unerhört vulgäre Großmutter des Cullen-Clans. Aus diesem Grund fand das Wiener Publikum Humor in Szenen, die nicht mal lustig sein sollten. Ständig wurde gekichert, geprustet und sich gar auf den Schenkel geklopft - egal ob Bella nun einfach nur gerade emotionslos aus dem Fenster starrte oder aber Sex mit Edward hatte (jetzt dürfen sie ja, wo sie verheiratet sind...). Um ehrlich zu sein bekam ich den Eindruck, als wären zwei Drittel der Kinobesucher nur im Saal gewesen, um sich über den Film lustig zu machen. Und irgendetwas gab mir sogar das Gefühl, als hätten die Macher über diese Situation Bescheid gewusst und den Streifen daher an manchen Stellen besonders „lachhaft“ gemacht.

Sieben Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Romans nimmt das Twilight-Phänomen also mit dem letzten Film zu „Breaking Dawn“ sein Ende. Während manche bestimmt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und „Halleluja!“ rufen (machen die Leute das wirklich? Ich fände es prächtig!), geht für viele Fans eine langjährige Faszination zu Ende. Und obwohl ich einerseits froh bin, dass dieser Hype langsam ausklingt, muss ich zugeben, dass ich den Trubel um die Saga durchaus verstehe, einst selbst sehr begeistert davon war und ja irgendwie sogar einen klitzekleinen Teil vom Twilight-Kuchen abbekommen habe. Dennoch wünschte ich, man hätte Betty White als Cullen-Großmutter gecastet.

Wie sehr ihr denn das, liebe Leser? Seid ihr froh, dass Twilight endlich zu Ende ist, oder zählt ihr euch zu Fans der Saga?

Sexismus

Achtung! Achtung! In der Werbung wimmelt es von subtiler Geschlechtertrennung und einem gewissen Kolumnisten geht das gehörig gegen den Strich. Gedanken über Spielwaren, Pippa Middleton und Stifte für Frauen.

Meine Freundin Nicole studiert Maschinenbau an der Technischen Universität und ist die einzige Frau in ihrem Kurs. Während unseres letzten Treffens beschwerte sie sich bei mir darüber, aus diesem Grund ständig von all ihren Kommilitonen angeflirtet zu werden. Es fällt mir ein bisschen schwer, Nicoles Problem zu verstehen, da so selten mit mir geflirtet wird, dass ich schon die Hochzeitsglocken läuten höre, wenn mir der Verkäufer im Supermarkt um die Ecke kein Geld für eine Plastiktasche verrechnet. „Ich verstehe es nicht!“, beklagt sie sich immerzu „Warum schlagen eigentlich nicht mehr Frauen diese und ähnliche Studienrichtungen ein?“. Das ist eine berechtigte Frage und adressiert ein Thema, über das ich mir schon längere Zeit Gedanken mache.

Pippa Middleton ist eine Idiotin. Natürlich mochte ich sie anfangs, denn wie kann man eine Frau, deren Gesäß William und Kate bei der Königshochzeit die Show stiehlt, nicht mögen? (Nein, ich leide nicht an Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom; Es besteht hier tatsächlich ein Zusammenhang zu Maschinenbau. Bitte dranbleiben!) Während einer Signierstunde ihres neu erschienen Ratgebers „Celebrate“, in dem sie Tipps für gelungene Partyplanung gibt, kam junges Mädchen auf Pippa zu und sagte, dass sie Prinzessinen und Mädchen-Kram generell nicht ansprechend finde und mehr ein jungenhaftes Mädchen sei. Dies wäre Pippas große Chance gewesen, weise Worte an die junge Besucherin zu richten. Schon ein simples „Du kannst alles toll finden, was du willst!“ hätte gereicht. Aber nein! Stattdessen entgegnete Pippa: „Spätestens wenn du 10 bist, wirst auch du Prinzessinnen lieben!“ und vermittelte dem Kind damit im Grunde genommen, dass es schon bald ein „richtiges“ Mädchen werden würde. (Und wer ganz genau lauschte, konnte vermutlich hören, wie sich Simone de Beauvoir im Grab umdrehte.)

Pippas Aussage markiert leider nur die Spitze des ignoranten Eisbergs. Ein Ausflug in einen Spielzeugladen gleicht einer Zeitreise in die 1960er Jahre: Für Jungen gibt es Superhelden, Baukästen und Feuerwehr-Lego, allesamt in dunklen Farben gehalten, während sich Mädchen mit Puppen, Küchen (!) und Bügeleisen (!!!) in zarten Pastelltönen zufrieden geben müssen. Natürlich ist es durchaus auch möglich, einem Mädchen einen blauen Baukasten zu kaufen oder einen Jungen mit einer pinken Küche zu überraschen und ich applaudiere all jenen Eltern, die das auch tatsächlich tun. Dennoch stört mich, dass Kinder ausgerechnet in ihrer Prägephase von Marketing-Firmen in Schubladen gesteckt werden, aus denen sie oftmals ihr ganzes Leben lang nicht mehr rauskommen. Ich wage mal ganz frech zu behaupten, dass ein Zusammenhang zwischen dem Defizit von „Baukästen für Mädchen“ und dem Mangel an Frauen im Maschinenbaustudium besteht.

Wer übrigens glaubt, dass die unsinnige Geschlechtertrennung nur bei Spielzeugen vorhanden ist, liegt leider falsch: Erst vor ein paar Monaten hat der Schreibwarenhersteller BIC „Stifte für Frauen“ auf den Markt gebracht. Das sind ganz normale Stifte, aber sie in „weiblichen Farben“. Und sie kosten doppelt so viel wie herkömmliche „Männer-Stifte“.

Doch auch umgekehrt ist diese Trennung möglich: Erst vor ein paar Tagen verschlug es mich in eine Parfümerie. Da mein Einkauf relativ groß war, riet mir die Verkäuferin, ein bisschen sparen und mir eine Vorteilscard zulegen. „Michael, sag JA zum Leben!“, dachte ich mir und willigte ein, woraufhin mir die quirrlige Dame statt einer herkömmlichen Karte ohne Aufdruck eine „Vorteilscard pour Homme“ reichte. Da ich zu dieser Zeit gerade mit der Recherche für diese Kolumne beschäftigt war, konnte ich nicht anders, als nachzuhaken. „Entschuldigen Sie, Sie haben mir eine Karte für Männer gegeben. Wieso bekomme ich keine normale Karte?“ - „Naja...sie ist für Männer.“, entgegnete mir mein Gegenüber verblüfft. „Jaja, schon klar. Aber was ist der Unterschied zu einer Vorteilscard für Frauen?“ - „Sie haben genau die gleichen Vorteile, aber sie ist eben für Männer.“ - „Es gibt also keinen Unterschied?“ - „Naja, doch...sie ist für Männer.“ Dieser abstruse Austausch hätte sicherlich bis in die frühen Morgenstunden weitergehen können, doch aus Zeitdruck beschloss ich, die Parfümindustrie einfach mal mit ihrer überflüssigen Geschlechtertrennung davonkommen zu lassen und verließ fluchtartig den Laden.

Nein, ich bin nicht wütend, weil ich eine Männer-Karte bekommen habe oder weil Frauen-Stifte zum Verkauf angeboten werden - ich verstehe nur den Sinn dahinter nicht. Gibt es allen Ernstes Frauen, die sagen „Oh ja, diesen Stift kann ich verwenden, um meine Einkaufsliste zu schreiben, wenn ich meinem Mann ein Sandwich machen will!“? Wir schreiben das 21. Jahrhundert; es ist uns gelungen, einen Mann ins All zu schicken und ihn aus 36km Entfernung wieder auf die Erde springen zu lassen; dennoch investiert niemand die Zeit und das Geld darin, gender-neutrale Spielwaren auf den Markt zu bringen und Kinder jenseits des Schubladen-Denkens selbst entscheiden zu lassen, womit sie nun spielen möchten.

Doch es gibt Hoffnung: Amazon-Bewertungen zu den „BIC for Her“-Stiften, zeigen nicht nur, dass die breite Masse diese Idee ebenfalls lächerlich findet, sondern ihre Kritik auch in absolut sarkastischen und wunderbar lustigen Rezensionen auszudrücken weiß. (Definitiv lesenswert!) Die Amerikanerin Debbie Sterling entwickelt zudem gerade „Goldie Blox“; einen Baukasten, der Mädchen davon überzeugen soll, dass auch sie handwerkliches Geschick erlernen können, wenn sie wollen. Und dann gibt es da noch dieses intelligente kleine Mädchen, das meinen Glauben an die Menschheit eigenhändig wieder hergestellt hat. Es sollte sich mal mit Pippa Middleton unterhalten.

Energie

Das düstere Herbstwetter und ein klein wenig Stress raubten mir sowohl die Energie, als auch den Schlaf. Meine krankhafte Faszination mit einem Studienkollegen half mir dabei, beides zurückzugewinnen. Michaels Tipps gegen den Herbsttrott. 
 
Mark ist ein Typ aus meiner Literaturvorlesung, der über unangenehm große Mengen an Energie verfügt. Fasziniert beobachte ich ihn in den frühesten Morgenvorlesungen, in denen er quietschfidel hinter seinem Tischchen sitzt und eifrig mitschreibt, während ich k.o. in meinem Stuhl lümmele, wie eine Nutte am Morgen nach Valentinstag. Selbst in den Vorlesungen am späten Abend kennt sein Enthusiasmus keine Grenzen. Manchmal sprechen wir über unseren Tagesabläufe und ich bin jedes Mal verblüfft, wenn er mir seinen super-produktiven Alltag in einem Tempo schildert, bei dem sogar die energetischen Gilmore Girls sagen würden „Halt! Stopp! Sprich bitte ein bisschen langsamer!“. Das stört mich nicht weiter und ich vergönne Mark seine Produktivität natürlich, aber da ich selbst über das Energie-Level eines 80jährigen verfüge, kann ich nicht anders, als ein wenig neidisch zu sein. Ständig raten mir die Leute, ich solle „früher schlafen gehen“, doch ich möchte all diesen Leuten persönlich mit einem Knüppel gegen den Kopf schlagen. Das probiere ich doch!
 
Hier zum Vergleich ein typischer Tag in meinem Leben: Mein Wecker läutet um 8 Uhr und ich schalte ihn mürrisch (und mit Obszönitäten um mich werfend) aus, um mich noch kurz ins Bett zu legen. Plötzlich ist es 9 und wie der geölte Blitz kippe ich einen Espresso und laufe ohne Frühstück in die erste Vorlesung. Zwischen den Vorlesungen treffe ich mich zu Mittag meist mit Freunden und den Nachmittag verbringe ich entweder wieder an der Uni, oder mit Hausarbeit, bzw. Dingen, die ich wohl oder übel zu erledigen habe. Irgendwann gegen 19 Uhr gibt es einen Moment, wo ich mir sage „Stop! Michael Time!“ und es mir mit einem Buch oder einem Film gemütlich mache, während ich an einer Pizza nage. DOCH HIER DER CLOU! Wenn ich schließlich gegen 22 Uhr „früh schlafen“ gehe, wälze ich mich lange Zeit frustriert auf meiner Matratze hin und her, während ich mir im Minutentakt mental ausrechne, wie lange ich im Idealfall noch rasten kann. Frustriert, weil es mittlerweile 3 Uhr morgens ist und in weniger als 6 Stunden auf muss, gönne ich mir schließlich ein Glas Rotwein (das Wort „Glas“ wird in diesem Fall relativ lose definiert) und schlafe supergut, wache deswegen aber am nächsten Tag zu spät auf und lasse dem Teufelskreis seinen Lauf.
 
Aus diesem Grund frustriert mich die unendliche Energie meines Mitstudenten immens und ich schrecke nicht davor zurück, an dieser Stelle laut „J‘accuse!“ zu rufen und ihn der Kokain-Abhängigkeit zu beschuldigen. Oder hat er vielleicht doch einen Zwillingsbruder und schickt diesen in die Morgenvorlesungen, während er selbst bis zu Mittag pennt? Sicher koksen sie auch beide! Besessen davon, diesem Mysterium auf den Grund zu gehen, unterbrach ich meinen Kollegen, während er mir gerade erneut im Maschinengewehr-Tempo von seinem hochproduktiven Tag erzählte. „Es tut mir leid, aber wie kannst du nur so viel Energie haben?“. Seine Antwort war ebenso simpel wie nervtötend. „Oh, ich ernähre mich einfach gesund und mache regelmäßig Sport!“. Na toll! Diese Aussage impliziert leider, dass es vermutlich relativ leicht ist, so fit zu werden und dass auch ich dieses Ziel erreichen kann, wenn ich mich nur ein bisschen anstrenge. Ach, wäre es doch nur meine abstruse Theorie mit den Koks-Zwillingen gewesen!
 
Treue Leser meiner Kolumne wissen: Wenn ich sage „Ich möchte mich ein bisschen gesünder ernähren und mehr Sport machen!“ ist das leider ein bisschen so, wie wenn ein ehemaliger Alkoholiker freudig „Ein kleines Schlückchen kann mir nicht schaden!“ deklariert. Anders als bei meinen bisherigen Ernährungs-Umstellungen war es mir bei meinem neuen Projekt völlig egal, wie ich aussah, denn es ging mir nur darum, mich körperlich und geistig wohler und vor allem lebendiger zu fühlen. Für diese Woche auf der Agenda: Immer schön ausgiebig frühstücken, mittags eine gesunde Portion Fisch, Hühnerbrust oder ähnliches essen, nachmittags ein bisschen Sport betreiben (hierbei habe ich mich für eine ultrapeinliche Promi-Fitness-DVD entschieden. Wer in den Kommentaren errät, um welchen Promi es sich handelt, bekommt von mir eine gesunde Portion Fisch geschenkt!) und am frühen Abend einen kleinen Snack zu sich nehmen. Voller Elan startete ich also das Experiment „Gesündere Ernährung, höhere Lebensqualität...(und Mark in unserem Energie-Battle schlagen)“
 
Ich möchte hier nicht altklug oder allzu triumphal klingen, aber dennoch muss ich anmerken, dass ich bereits am zweiten Tag meines Versuches völlig ausgeschlafen um 7:30 (AM MORGEN!) aufgewacht bin. Für manche Leute ist dies vermutlich keine herausragende Uhrzeit, doch hättet ihr mir vor ein paar Monaten gesagt, dass ich irgendwann mal problemlos um 7:30 in der Früh putzmunter aus dem Bett hüpfen würde, hätte ich euch aus Unglauben vermutlich mit Fackeln und Heugabeln über die Staatsgrenze gejagt. Triumphal machte ich mich auf den Weg in die Vorlesung und war an jenem Morgen mindestens genau so fit wie mein aufgeweckter Studienkollege Mark und es hatte mir nicht mal sonderlich viel Anstrengung gekostet.
 
Aus meinem Experiment habe ich zwei Dinge gelernt: Ja, manchmal geht man in die Vorlesung, um mehr über englische Literatur zu erfahren und kommt stattdessen mit Gesundheitsratschlägen nach Hause. Und: Wenn man nachts nicht einschlafen und am Morgen nicht aufwachen kann, ist das eventuell ein Zeichen dafür, dass etwas schief läuft und der Körper einem das sagen möchte. Sicher, sich bis an sein Lebensende nur gesund zu ernähren wird auf Dauer ein wenig langweilig - und leider auch teuer! Kekse aus dem Reformhaus sind zwar furchtbar trocken, haben dafür aber einen „saftigen“ Preis (oh snap!). Gegen Ende der Woche sehnte ich mich daher mehr als je zuvor nach Kuchen, den man in der Mikrowelle zubereiten kann. Um ein bisschen Energie zu tanken, ist es aber besonders in der verschlafenen Herbstzeit ratsam, sich mal wieder ein bisschen Zeit für seinen Körper zu nehmen und bewusst darauf zu achten, welche Dinge man zu sich nimmt. Und wer weiß: Wenn ich noch eine weitere Woche lang solch guten Schlaf genießen darf, bin ich vielleicht bald schon so aufgeweckt wie Honey Boo Boo.

Wer Lust hat, kann mir in den Kommentaren gerne seine Tipps für einen kleinen Energieschub geben, ich bin für jeden Ratschlag äußerst dankbar!

Brandon Jones

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