Faschingsdienstag

Am Faschingsdienstag der vergangenen Woche wurde wie alle Jahre wieder der letzte Karnevalstag mit bunten Kostümen, ausgiebig Alkohol und leichtsinnigem Vandalismus gefeiert. Nüchterne Beobachtungen des landesweiten Saufgelages.

Ich muss zugeben, dass ich Faschingsdienstag hasse. Nicht, weil ich ein Griesgram bin, der es missbilligt, wenn andere Leute Spaß haben und daher mit der Schaufel droht, wenn fröhliche Youngsters an ihm vorbeigehen (obwohl ich eines Tages definitiv so enden werde), sondern vielmehr deswegen, weil an diesem Tag alle Leute (genau wie zu Silvester) gezwungen lustig sein müssen. Es bietet sich vor Beginn der Fastenzeit (die ohnehin niemand ernst nimmt) noch einmal die Gelegenheit, ein letztes Mal so richtig die Sau rauszulassen und mächtig Spaß zu haben. Man hat quasi einen Tag zur Verfügung, um „geordnet verrückt“ zu sein, bevor man sich den Rest des Jahres wieder diszipliniert verhalten soll. Doch der Druck, der dabei auf die Leute ausgeübt wird, führt selten wirklich zu Spaß, sondern vielmehr zu der Erkenntnis, wie langweilig man doch eigentlich ist; eine Enttäuschung, die schon bald durch Unmengen an Alkohol kompensiert wird.

Ich möchte hier ja gar nicht so tun, als wäre ich strikter Antialkoholiker. Ganz im Gegenteil: Wer mich als „Antialkoholiker“ bezeichnet, könnte genau so gut Charlie Sheen als „völlig normal“ bezeichnen - es stimmt nicht, und wir alle wissen es. Wer mich kennt, weiß, dass ich überhaupt nichts dagegen habe, mich zu verkleiden und im Anschluss über die Maße zu betrinken, doch ich nenne solche Tage nicht „Faschingsdienstag“. Ich nenne sie „Freitag“. Was mich an jenem dezidierten Spaßtag so stört, ist vielmehr der Vorsatz, mit dem kollektiven Alkoholismus auf die Straßen zu gehen, die Innenstadt zu verwüsten und sich dabei öffentlich zu blamieren. Was war daran so befriedigend? Erkannte denn niemand mehr den Reiz daran, sich still und heimlich in seinen eigenen vier Wänden zu betrinken?

Dieses Jahr machte ich (wenn auch unfreiwillig) erstmals nicht bei diesem Spektakel mit: Aufgrund einer Erkältung war ich ärztlich gezwungen, unter keinen Umständen Alkohol zu mir zu nehmen. So wurde ich in meinem Freundeskreis nicht nur zum absoluten Außenseiter, sondern - noch schlimmer - zum Chauffeur der betrunkenen Meute degradiert und durfte somit den ersten nüchternen Faschingsdienstag meiner Jugendjahre erleben. An Fasching nüchtern zu bleiben stellte ich mir in etwa so vor, als gehe man als Vegetarier zu einem Fleischfestival: Niemand kann nachvollziehen, warum du überhaupt dort bist und alle werden versuchen, dir in einem unbeachteten Moment Fleisch auf deinen Salat zu legen. Würde Faschingsdienstag ohne Alkoholeinfluss überhaupt erträglich sein? Oder steckte am Ende vielleicht doch mehr als erwartet hinter dem letzten Karnevalstag?

Bereits am frühen Nachmittag begab ich mich auf den jährlichen Faschingsumzug meiner Heimatstadt. Wenn ich mich schon nicht sinnlos betrinken konnte, so beschloss ich, mir stattdessen mein Amüsement anderweitig zu besorgen. Deshalb war ich dieses Jahr als Hipster verkleidet (ein kleiner Seitenhieb auf meine Entscheidung, am Mainstream-Fasching nüchtern zu bleiben) und fragte die jeweiligen DJs, die großteils Apres-Ski-Hits auf Lager hatten, ob sie nicht bitte auch etwas von „Death Cab For Cutie“ oder vielleicht sogar den Soundtrack von „The Virgin Suicides“ spielen könnten. Alle hassten mich.

Erstaunt muss ich zugeben, dass die ersten Stunden des Events äußerst zivilisiert verliefen. Man nippte vorsichtig an Plastikbechern, wippte im Takt der stimmungsvollen Musik und wagte sich ab und an an einem frechen Faschings-Wortspiel, um (meist vergeblich) für gute Laune zu sorgen.
Ich weiß nicht, ob es an dem plötzlichen Einbruch der Finsternis lag oder daran, dass es gesellschaftlich durchaus akzeptiert ist, zu dieser Uhrzeit nicht mehr aufrecht stehen zu können, aber wie von böser Geisterhand waren ab 18 Uhr plötzlich so gut wie alle Menschen in meinem Umfeld sturzbetrunken. Wo man soeben noch Diskussionen über Politik führte, wurden nun lautstark Parolen geträllert, peinliche Geheimnisse offenbart und Perücken achtlos durch die Gegend geworfen. Das ganze Fiasko war der letzten Geburtstagsfeier meiner Großmutter nicht unähnlich.

Es hat überraschenderweise wirklich seinen Reiz, der einzig Nüchterne unter Betrunkenen zu sein. Neben einer Person, die es für eine gute Idee hält, Bier aus einem Eimer zu trinken und sich infolgedessen nur noch mit Grunzlauten verständigen kann, wirke ich nämlich durchaus wie ein intelligenter Mensch, der sein Leben auf der Reihe hat (was - unter uns - nicht wirklich der Fall ist). So lauschte ich angespannt, während man mir endlose Geschichten erzählte, machte Platz, wenn jemand mit der Hand vor dem Mund an mir vorbeilief und stand, falls es unbedingt notwendig war, sogar helfend zur Seite, wenn gewisse Personen gerade der Welt ihren Mageninhalt offenbarten.

Als ich einige meine angeheiterten Freunde an jenem Abend nach Hause chauffierte, reflektierte ich über den vergangenen Tag. War es wirklich so schlimm wie erwartet gewesen, am Faschingsdienstag nüchtern zu bleiben? Nein, nicht wirklich. Ich war froh, dass meine Freunde ihren Spaß gehabt hatten und musste mir eingestehen, dass auch ich mich gut amüsiert hatte. Vielmehr war ich froh, dass mich am nächsten Tag kein monumentaler Kater und - noch schlimmer! - peinliche Facebook-Photos, die als Grundlage zur Erpressung dienen könnten, erwarteten. Vielleicht ist es auch gar nicht so schlecht, ab und zu auf seinen inneren Hipster zu hören und an Mainstream-Saufgelagen wie Silvester und Fasching gegen den Strom zu schwimmen, indem man seinen Alkoholkonsum reduziert. Ich persönlich betrinke mich ja viel lieber freitags.

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