Neuanfänge

Zum einjährigen Kolumnen-Jubiläum berichtet Michael abschließend von seiner England-Reise, absurden chinesischen Bräuchen und einer ungewöhnlichen Freundschaft in frühester Kindheit.

Alle heiligen Zeiten schreibe ich gerne mal Artikel für diverse Magazine und nehme daher auch an Redaktions-Sitzungen teil. Auf diesen Treffen bekomme ich zwar meist nur einen kurzen Auftrag, den man mir genau so gut per SMS hätte schicken können, bin aber dennoch gerne dabei, weil ich es liebe, die Ideen meiner Kollegen zu hören und jedes Mal erneut hoffe, dass es Brötchen gibt (gibt es nicht; Magazin-Menschen essen nicht). Es war gerade während der Redaktions-Sitzung eines Lifestyle-orientierten Magazins, als die Reise-Redakteurin einen Vorschlag brachte: „Ich möchte gerne etwas über London schreiben!“. Binnen Sekunden war ich trotz Eisenmangels (ich hatte immerhin mit Brötchen gerechnet) wieder hellwach: Juhu! London! Ich würde kommende Woche diese Stadt bereisen und überlegte kurz, meinen bereits ausgedruckten Boarding-Pass aus der Tasche zu holen und in der Runde herumzureichen, während ich feierlich „Rule Britannia“ anstimmte, um allen Anwesenden zu zeigen, dass auch ich endlich cool war. Doch plötzlich sah ich, dass die junge Frau von allen übrigen Personen im Raum vorwurfsvoll gemustert wurde. „London? Wirklich?“, sagte unser Vorgesetzter, der mich nun mehr als je zuvor an Meryl Streep in „Der Teufel trägt Prada“ erinnerte. „Niemand fliegt mehr nach London und jeder war schon dort. Mach lieber Kopenhagen.“. Eingeschüchtert ließ ich meinen Boarding-Pass wieder in die Tasche wandern.

Okay, vielleicht bin ich also noch immer nicht „cool“, aber wenigstens bin ich ein kleines Stückchen weiser: Denn als ich vor genau einem Jahr angefangen habe, diese Kolumne zu schreiben, habe ich den ersten Eintrag meinem Karneval-Hass gewidmet. Zwölf Monate später weiß ich aber, dass es am besten ist, in jener Woche, in der nicht nur Karneval, sondern auch Valentinstag gefeiert wird, einfach mit drei Freunden ins verregnete England zu flüchten. Natürlich könnte ich an dieser Stelle von typischen London-Erlebnissen berichten, aber da ja angeblich ohnehin schon jeder in London war, lasse ich das lieber bleiben und erzähle stattdessen von einem schönen Moment: Wer meine Kolumne treu verfolgt, weiß vielleicht, dass Silvester dieses Jahr relativ ruhig für mich verlaufen ist und ich daraufhin den gesamten Januar relativ deprimiert verbracht habe. Sobald ich hörte, dass am 10. Februar 2013 das chinesische Neujahr gefeiert wurde und im Zuge dessen eine große Fete in Londons China-Town stieg, packte ich die Gelegenheit, einen zweiten Jahreswechsel feiern zu dürfen und es diesmal richtig zu machen, sofort am Schopf.

Als wir an jenem verregneten Sonntag China-Town betraten, war es fast unmöglich, nicht auf die Salatblätter zu treten, die überall auf de nassen Straße verstreut lagen. Was war hier bloß passiert? Hatte sich eine Gruppe von Vegetariern aus Protest in die Luft gesprengt? Weit gefehlt, denn schon bald erspähte ich eine Menschenmasse, die aufgebracht einer überdimensionalen, chinesischen Schlange durch China-Town folgte, welche wiederum mit Salat-Köpfen, die an Angeln baumelten, von Restaurant zu Restaurant gelockt wurde (ähnlich, wie meine Freunde mich an Trink-Abenden aus Kneipen weglocken, indem sie mir sagen, dass in einer anderen Kneipe gerade Happy Hour ist). Diesen Salat zerfledderte die Schlange (bzw. der Mann unter dem Kostüm) schließlich unter Trommelwirbel, warf die Blätter in die jubelnde Menge und zog weiter zum nächsten Lokal, wo ein weiterer Salat auf sie wartete. Dieses Ritual soll Glück bringen und erheiterte mich immens (besser noch wäre es aber gewesen, wenn man mit Torte geworfen hätte. Nur ein kleiner Tipp für nächstes Jahr!). Hier war ich also, ein Jahr nach Kolumnen-Beginn und hatte die nervigen Karnevals-Bräuche meiner Heimat gegen die ulkigen Neujahrs-Traditionen einer chinesischen Schlange ausgetauscht. Ich lobe mich ja nur ungern selbst, aber wenn das nicht progressiv (!) ist, weiß ich auch nicht weiter.

Der ein oder andere Leser verdreht sicherlich schon längst die Augen und fragt sich, ob mein meschuggenes „Es ist nie zu spät für einen Neuanfang“-Gefasel wohl darauf zurückzuführen ist, dass ich letzte Nacht schon wieder zum „Eat, Pray, Love“-Hörbuch eingeschlafen bin. Keine Sorge, dem ist nicht so - das Hörbuch ist sehr spannend und wer dabei einschläft, hat keine Seele! Doch da diese Kolumne heute ihr einjähriges Jubiläum feiert, habe ich ein wenig schwermütig beschlossen, sie nicht mehr weiterzuführen. Aber warum? Ist das nicht ein bisschen so, als würde man sich einen Hundewelpen anschaffen, ihn großziehen, trainieren und dann schließlich an seinem ersten Geburtstag erschießen? Ja, genau so ist das, aber um ein bisschen weniger herzlos zu wirken und meiner oberflächlichen Internet-Persönlichkeit ein bisschen Tiefgang zu verleihen, möchte ich eine pseudo-rührende Geschichte aus meiner Kindheit erzählen (und nein, es ist nicht die Geschichte, in der ich mit meinem Dreirad die Kellerstiege runterfahre und mir den Kopf stoße, obwohl diese Begebenheit sicherlich auch so einiges erklärt).

Als ich fünf Jahre alt war, schenkten mir meine Eltern einen mit Helium gefüllten Luftballon, der einen Bären im Bräutigamkostüm darstellte. Aus unerfindlichen Gründen beschloss ich, dass der Ballon im Badezimmer wohnen sollte. Rückblickend betrachtet würden wohl alle Mitglieder meiner Familie behaupten, dass die Beziehung, die ich in den folgenden Tagen zu dem Bräutigam-Bären aufbaute, „ungesund“ und „schädigend für mein zukünftiges Liebesleben“ war, da er schon bald zu meinem besten Freund avancierte; es war ein bisschen wie „Harold & Maude“, nur viel armseliger. Nach einiger Zeit kam es aber, wie es kommen musste: Ich merkte, dass dem Ballon nach und nach die Luft entwich und der einst so pralle Bräutigam allmählich wie ein trauriger Gast einer Bären-Beerdigung aussah. Schwermütig traf ich eine Entscheidung, die rückblickend betrachtet relativ weise für einen Fünfjährigen wirkt: Anstatt dabei zuzusehen, wie mein Ballon verrottete, wartete ich auf den nächsten windigen Tag und ließ ihn im Garten in die Lüfte steigen.

Aus ähnlichen Gründen habe ich beschlossen, besser bei diesem Meilenstein mit meiner Kolumne aufzuhören, als dann, wenn auch mir bereits die Luft ausgegangen ist und ich Texte zu Themen wie „Mann, oh Mann, das Wort ,Wölbung‘ ist schon ziemlich komisch, oder?“ verfasse. Ich bin jedoch kein Fan von großen Abschieden und bevorzuge es daher lieber, auf Partys polnische Abgänge hinzulegen: Oft gehe ich einfach ohne etwas zu sagen nach Hause und muss im Nachhinein feststellen, dass ohnehin niemandem meine Abwesenheit aufgefallen ist, weil die meisten Gäste dachten, die buschige Topfpflanze in der Ecke des Raumes wäre ich. Doch nicht heute! An dieser Stelle geht ein riesiges Dankeschön an das VANGARDIST-Team, das mir im vergangenen Jahr nicht nur eine tolle Plattform, sondern auch jede Menge Unterstützung geschenkt hat, sowie an alle Leser, die tatsächlich Interesse an meinen wirren Wortergüssen gezeigt haben. Es war mir wahrlich ein Fest mit euch und im Stil eines echten Festes werde ich nun nach Hause verschwinden, es mir auf dem Sofa gemütlich machen und die angegammelte Pizza des Vorabends verspeisen.

Valentinstag

„Wie ich dich liebe? Lass mich zählen wie.“ - Wie ich dich hasse? Wie viel Zeit hast du? Pünktlich zum Valentinstag begibt sich Michael auf ein katastrophales Date, das ihn erneut daran erinnerte, warum dieser Feiertag eigentlich relativ sinnlos ist.

Bis vor einem Jahr hatte ich fast wöchentlich ein Date. Mein Fable für Verabredungen war in meinem Freundeskreis so bekannt geworden, dass ich manchmal fürchtete, meine Freunde und Verwandten würden mich bald in einen Hinterhalt locken und mir dann unter Tränen gestehen, dass meine Dating-Sucht „die Familie zerstört“. Ich war die Sorte Mensch, die Jennifer Aniston in all ihren Filmen spielt: Eine Person, die regelmäßig auf katastrophale Verabredungen geht, die ihr allerhöchstens als Gesprächsstoff dienen, wenn sie sich mit ihren Freundinnen beim Brunch trifft. Diese Vorliebe hatte weniger etwas mit einem Verlangen nach Bestätigung zu tun, sondern war vielmehr ein bisschen so, als würde man als fauler Student halbherzig in die Vorlesung gehen: Niemand konnte mir vorwerfen, ich würde nicht wenigstens versuchen, unter die Leute zu kommen. Nach unzähligen Desaster-Dates aber beschloss ich, dieses Verhalten lieber an den Nagel zu hängen, bevor ich in Wien und Umgebung als „Dating-Nymphomane“ bekannt wurde. „Österreichweiter Meister im Bratkartoffel-Wettessen“ soll der einzige Name bleiben, unter dem ich bekannt bin.

Obwohl ich ein relativ eigenständiger Mensch bin, der sich von den Medien nicht allzu sehr beeinflussen lässt (ich habe jedoch sehrwohl einen V-Hobel aus dem Teleshop zuhause - damit zerkleinere ich Obst und Gemüse im Handumdrehen!), werde ich spätestens dann, wenn die ersten „Kaufen Sie ihrem Liebsten doch Viagra zum Valentinstag!“-Mails in meinem Spam-Ordner landen, wieder ein bisschen melancholisch. Ja, ich glaube wirklich, dass die Medien an meiner Misere Schuld sind, weil sie mir und allen anderen zu dieser Jahreszeit Dinge unter die Nase reiben, die man nur zu zweit machen kann: Einander bescheuerte Teddybären schenken, romantische Töpferkurse belegen und auf einem Tandem durch die Stadt fahren. In Wirklichkeit möchte ich eigentlich nur eine Schachtel Pralinen in Herzform kaufen, weil ich finde, dass sie nett aussieht, weiß aber, dass ich eigentlich einen Partner brauche, um das tun zu können. Obwohl ich im restlichen Jahr relativ zufrieden mit meinem Leben bin, sehne ich mich nun nach einer Beziehung, obwohl ich mich insgeheim wirklich nur nach dieser Schachtel Pralinen sehne. Ihr merkt, ich bin sehr tiefgründig. Um ein weiteres Mal also ließ ich mich dazu verleiten, mein altes Dating-Verhalten wieder aufzugreifen.

Kurzerhand war ein „ungezwungenes“ (Code für: Absolut wichtig - jede Sekunde zählt!) Treffen mit Hannes vereinbart, der ein guter Freund einer Studienkollegin ist, - sie vergewisserte mir im Vorhinein, dass er „ein ganz ein Netter“ sei. Und sie hatte Recht: Hannes wirkte auf den ersten Eindruck sehr nett, doch schon bald fiel mir auf, dass er unsere Unterhaltung vorwiegend auf eines der folgenden drei Themen hinlenkte: Armut, die globale Erwärmung und - Fun Fact! - die Tatsache, dass beim Thunfisch-Fang immer öfter Delfine getötet werden. Wichtige Themen, da bin ich mir sicher, aber leider nicht Erstes-Date-Material. Ich musste lachen: In der amerikanischen Live-Sketch-Comedy-Show „Saturday Night Live“ gibt es eine Figur, die „Debbie Downer“ heißt. Sie ist dafür bekannt, auf großen Partys und Feierlichkeiten immer die Stimmung zu drücken, indem sie anfängt, von Zugexplosionen, BSE oder anderen Desastern zu erzählen. (Unter diesem Link können sich Interessierte übrigens meinen Lieblings-Sketch ansehen. Bitte nicht panisch werden, die ersten 10 Sekunden sind stumm!).

So oder so ähnlich darf man sich auch mein Date mit Hannes vorstellen und ich möchte euch wirklich nicht weiter mit den Details langweilen, weil ich meinem Gegenüber schon nach einer halben Stunde seiner Schwarzmalerei Schmerzen mit einem Buttermesser zufügen wollte. Es war circa zur Hälfte des Dates, als ich den fatalen Fehler machte, von einem Besuch bei Starbucks zu berichten. Eigentlich hätte ich wissen müssen, dass diese Aussage bei meinem Gesprächspartner nicht gut ankommen würde, doch irgendwie wollte ich ihn auch provozieren. Hannes weitete seine Augen, als hätte ich gerade von einem Kaffeekränzchen mit Lord Voldemort erzählt: „Ich finde es absolut furchtbar, dass du Starbucks unterstützt Wie kannst du so einer kapitalistischen Kette dein Geld geben, wo es in Wien hunderte Kaffeehäuser gibt, die wegen Leuten wie dir immer öfter zusperren müssen?“ Okay, vielleicht bin ich ein schrecklicher Mensch, aber wenn ich um 7 Uhr mrogens im Halbschlaf aus dem Bett krieche, denke ich mir selten „So! Jetzt ziehe ich mir meine Birkenstocks an und hole mir einen fair-gehandelten Kaffee aus einem unabhängigen Kaffeehaus!“, sondern entscheide mich einfach für jenes Lokal, das ich fluchtartig betreten und verlassen kann, damit niemand merkt, dass ich unter meinem Mantel noch immer meinen Pyjama trage: Starbucks.

Es war spätestens in diesem Moment, als ich mich fragte, warum ich mir überhaupt ein Date mit einem völlig Fremden, der sich wohl insgeheim eines Tages einen Heiligentitel erhoffte, angetan hatte. Sofort fiel mir ein: Aufgrund des Valentinstags. Würden mir das Fernsehen, die Werbung und unzählige Newsletter nicht vermitteln, dass ich zu dieser Jahreszeit mit meinem Schatz auf einem Tandem durch die Stadt fahren muss, während wir „I Got You Babe“ singen, könnte ich jetzt völlig zufrieden zuhause sitzen und Bratkartoffeln essen. Inspiriert von der Erkenntnis, dass dieses Date schrecklich und ich im Moment nicht wirklich einen Freund wollte, sondern einfach zu einem hilfloses Medien-Opfer geworden war, beendete ich es frühzeitig mit der Ausrede, ich sei müde. Hannes, der wohl mehr Spaß gehabt hatte, als ich, hoffte, wenigstens noch seine körperlichen Bedürfnisse befriedigen zu können: „Möchtest du vielleicht noch einen Kaffe bei mir trinken?“. Höflich verneinte ich und sah meinem Gegenüber tief in die Augen. Sollte ich es wirklich sagen? War es nicht ein bisschen fies? „Aber vielleicht gehe ich noch zu Starbucks!“, setzte ich schließlich kindisch drauf und ging beschwingt meiner Wege.

In diesem Sinne: Frohen Valentinstag, liebe Leser!

Hipsters

Noch immer Hipsters? Ja, noch immer Hipsters! Nach einem fatalen Happening auf einer Tanzfläche überlegt Michael, warum das Kulturphänomen „Hipster“ einfach nicht verschwinden will.

Es war vor einigen Monaten, als ich gerade auf der Tanzfläche einer Party stand, für die ich ohne Zweifel zu uncool war. Die minimalistische Musik, sowie ... deuteten darauf hin, dass es sich um ein Hipster-Event handelte, und das war völlig okay für mich. Nicht nur hatte ich einst einen Artikel geschrieben, indem ich diese Szene-Menschen verteidigte; nein, in dieser Runde konnte ich mich auch ohne Bedenken des einzigen Tanzmoves, den ich beherrsche („der Roboter“), bedienen und ihn später als „ironisch“ abstreiten. Da Robert, meine Begleitung, sich vor einiger Zeit verabschiedet hatte, stand ich nun alleine auf der Tanzfläche und war gerade dabei, meine mechanischen Bewegungen mit passenden Geräuschen zu untermalen, als ich Kat - eine Freundin von Robert - entdeckte. Sie ist ein echtes Hipster-Girl, wie es im Buche steht, „Redakteurin“ bei ihrer eigenen Webseite (was - unter uns - ein Euphemismus für „arbeitslos“ ist) und heißt in Wirklichkeit eigentlich „Renate“. Erfreut, endlich ein bekanntes Gesicht zu sehen, eilte ich schnell zu ihr rüber und begrüßte sie. Nach meinen Grußworten sah mich Kat entgeistert an: „Und du bist?“, fragte sie ein wenig unhöflich und ich erläuterte, dass ich ein Freund von Robert sei. Das Hipster-Mädchen sah mich noch immer fassungslos an. „Du tanzt wie ein Behinderter!“, sagte es schließlich, lachte schallend und verschwand wieder in der Menge an kichernden Beobachtern.

Oh no, she didn‘t! Eine verbale Ohrfeige, die saß. All die Zeit lang hatte ich mich im Glauben befunden, auf der guten Seite der Hipsters zu stehen: Ich mochte ihren Kleidungs-Stil, manchmal auch die Musik und war dafür bekannt, Szene-Leute sogar aufbrausend vor meinen Freunden zu verteidigen, wenn diese wiedermal Dinge wie „Boah Michael, wie kannst du es nur aushalten, auf die Partys von solch pseudo-elitären Menschen zu gehen?“ sagten („Es gibt guten Hummus!“). Doch nun hatte ich die schlechte Seite der Medaille kennengelernt und fühlte mich zum ersten Mal der „Ich bin cool, du bist es nicht!“-Verachtung ausgesetzt, vor der mich meine Freunde gewarnt hatten. Sicher verdreht der ein oder andere Leser mittlerweile schon längt seine Augen: „Wirklich, Michael? Eine Kolumne über Hipsters? Wurde dieses Thema nicht schon zigmal durchgekaut?“. Doch genau das ist mein Punkt: Hipsters sind die wie diese Party-Gäste, die noch immer da sind, obwohl man sich als Gastgeber schon längst den Pyjama angezogen, sowie die Nacht-Zahnspange reingegeben hat und eigentlich nur noch auf die Wiederholung von „Der Bachelor“ wartet. Warum existiert diese Stil-Richtung nun schon so lange, anstatt sich allmählich auf dem Friedhof der Kultur-Phänomene neben Emos, Crocs und Paris Hilton zu Grabe zu legen?

(Ich verwende den Begriff „Hipster“ hier übrigens recht negativ, meine aber nicht die Leute, die gerne Jutebeutel tragen und Platten hören. Leben und leben lassen! Stattdessen benutze ich den Begriff hier eher für jene Menschen, die von sich selbst glauben, das Größte seit der Erfindung der Bratkartoffel zu sein, weil sie es geschafft haben, sich eine Webseite im Internet einzurichten)

Erst Wochen später sollte ich zufällig auf meine Antwort stoßen. Ich blätterte gerade lieblos in dem Buch „Cultural Theory and Popular Culture“ von John Storey, welches ich für mein Studium lesen sollte, als mir ein interessanter Satz ins Auge fiel: Im Jahr 1990 war es Luciano Pavarotti gelungen, die Arie „Nessun Dorma“ an die Spitze der britischen Mainstream-Charts zu bringen und damit die Barriere zwischen „Hochkultur“ und „Popkultur“ zu brechen. Mehrere Liebhaber klassischer Musik gaben daraufhin naserümpfend an, die Arie nicht mehr zu mögen, weil sie nun „populär“ geworden war. Genervt verdrehte ich meine Augen und rief laut „Solche Hipsters!“, was ein bisschen eigenartig war, angesichts dessen, dass ich ganz alleine an der Uni-Bibliothek saß. Interessiert las ich weiter. Die teilweise snobistischen Ansichten diverser Kulturliebhaber, die auf den dann folgenden 30 Seiten beschrieben wurden, erinnerten mich an die aktuelle, elitäre Hipster-Einstellung, obwohl die angeführten Beispiele insgeheim bis zum Jahr 1760 zurückreichten. Darauf basierend zog ich mir folgenden Erkenntnis an den Haaren herbei: Hipsters gibt es noch immer, weil es sie schon immer gibt - heute haben wir nur einen anderen Namen dafür.

Als ich damals also auf der Tanzfläche stand und versuchte, die Leute mit meinen Robot-Moves zu beeindrucken, hätte ich eigentlich wissen müssen, dass meine Beobachter nicht mit mir, sondern über mich lachten. Ich hätte es schon in dem Moment wissen müssen, als mich Robert am Türsteher vorbei schmuggelte und dieser ihn so unglaubwürdig musterte, als hätte Robert seine Mikrowelle auf das Event mitgenommen. Aber ich habe an jenem Abend meine Lektion gelernt und aufgehört, mir etwas vorzumachen, indem ich auf Partys gehe, in dessen Publikum ich einfach nicht passte. Kurz, nachdem Kat mich „behindert“ genannt hatte, tat ich es meiner Begleitung gleich, verkündete lautstark „Hipster-Nonsense! Ich gehe!“ und verließ fluchtartig die Party. Und zwar im Roboter-Schritt. BÄM!

Dating-Regeln

Wenn du an jemandem interessiert bist, dann antworte nicht auf seine SMS!“ und andere Datingweisheiten lernt Michael auf seinem brisanten Ausflug in die Welt der Selbsthilfebücher.

An einem verregneten Abend saß ich gerade mit einer Flasche Rotwein bei meinem Kumpel Klaus zuhause. Irgendwann im Laufe unserer Freundschaft war Klaus zu meinem Mentor in allen Lebenslagen geworden und ich jammerte ihn deshalb gerade mit meinem problematischen Liebesleben voll: Ich war nun schon öfter mit einem Typen namens Johannes ausgegangen, aber es wollte einfach nichts zwischen uns passieren - wir hatten uns weder geküsst, geschweige denn ein gemeinsames Stück auf der alten Fleischflöte gespielt (so nenne ich Sex). Mittlerweile war es fast so, als würde ich meine Mutter daten. „Wie oft habt ihr euch denn schon gesehen?“, wollte Klaus wissen. Ich zählte kurz nach „6 Mal!“, entgegnete ich und mein Gegenüber verzog sein Gesicht. „Nein, vergiss es. Beim dritten Date muss etwas passieren, sonst wird nie was passieren. Jeder weiß das.“ Ich dachte kurz nach und musste feststellen, dass Klaus vollkommen Recht hatte: Mit einer einzigen Ausnahme war bei all meinen übrigen Dates meist spätestens beim dritten Treffen etwas „passiert“. Wieso stimmte diese Regel bloß und weshalb wusste ich bisher noch nichts davon?

Verdammt! Mein Leben lang war ich davon ausgegangen, dass Dating wie eine Art Glücksspiel war, bei der es nicht in der eigenen Hand lag, ob man Glück oder Pech hatte. Nun musste ich herausfinden, dass es Regeln gab und ich meine Ziele sogar erreichen konnte, wenn ich mich nur ein bisschen anstrengte. Was sollte dieser Nonsense? Es war wie damals in der Schule, als ich anfangs sagte „Mathe ist mein Lieblingsfach!!!!“, bis plötzlich auf einmal Buchstaben in den Rechnungen auftauchten. Man möchte meinen, dass mir diese Erkenntnis irrsinnig viel geholfen hätte und ich in Windeseile zum Dating-Weltmeister avanciert wäre, doch ganz im Gegenteil: Vorerst entwickelte ich erstmal panische Angst vor dem entscheidenden dritten Date und nahm es mir zu Herzen, dieses sicherheitshalber immer so unsexy wie möglich zu gestalten („Ich schlage vor, dass wir in diverse Hallenbäder gehen und die Sauberkeit des Schwimmwassers überprüfen. Viele Leute wissen nicht, dass sie sich da praktisch in einem Mund schwimmen!“). Nach einigen Wochen aber beschloss ich, mehr über diese berüchtigten Dating-Regeln erfahren zu wollen. Ein passendes Buch musste her!

Ich möchte mich an dieser Stelle bitte maßlos über den unverschämten Sexismus der Selbsthilfe-Industrie aufzuregen! Bei meiner Recherche habe ich mir dutzende Ratgeber auf Amazon angesehen und 90% davon war explizit für Frauen. Dies impliziert wiederum, dass Frauen es notwendig haben, sich mit Hilfe von Selbsthilfebüchern mental so zu verbiegen, dass der Mann ihrer Träume (der natürlich nicht an sich arbeiten muss, sondern so bleiben darf, wie er ist) sie endlich liebt. Das finde ich nicht okay! Weil es zudem keinen expliziten „Ratgeber für ahnungslose Homos, denen einfach nur ein bisschen langweilig ist“ gab, habe ich mich kurzerhand für das Buch mit dem passenden Titel „The Rules“ entschieden, welches laut Klappentext die wichtigsten Dating-Regeln enthielt und zudem zwei Millionen Exemplare verkauft hatte. Mein Abenteuer konnte losgehen!

Wenn ich meinem neuen Ratgeber vertrauen durfte, dann hatte ich allem Anschein nach so viel Sexappeal wie ein altes Stück Blauschimmelkäse: Mein Leben lang war ich davon ausgegangen, dass es normal und gut sei, einfach offen zu sein und den ersten Schritt zu wagen. Weit gefehlt! „The Rules“ schreibt vor, man solle immer ein bisschen den Eindruck erwecken, als würde man den Partner eigentlich gar nicht so sehr mögen und daher nur selten auf Anrufe und SMS antworten. Auf gar keinen Fall dürfe man ihn um ein Treffen bitten, sondern solle darauf warten, um ein Treffen gebeten zu werden. Sprich: Immer so tun, als wäre man desinteressiert und beschäftigt, obwohl man zuhause auf dem Sofa liegt, einen „Full House“-Marathon verfolgt und insgeheim auf eine SMS von der begehrten Person wartet. Aber war das nicht kontraproduktiv? Es erinnerte mich an die Zeit, in der ich dachte, ich könne abnehmen, indem ich mich einfach nur noch von Kartoffelchips ernährte (Ich habe übrigens nicht abgenommen, nur zu eurer Information). Konnte ich wirklich das Interesse eines anderen erwecken, indem ich gemein zu ihm war? Es gab nur einen Weg, um es herauszufinden.

In einem Versuch zu retten, was ohnehin nicht mehr zu retten war, versuchte ich also, „The Rules“ bei Johannes anzuwenden. Um ehrlich zu sein finde ich die Grundaussage des Buches nicht einmal schlecht: Es geht darum, sich gegenüber der anderen Person Respekt zu verschaffen und nicht sofort in ein Taxi zu springen, wenn sie „Komm vorbei!“ sagt. Eine der wichtigsten (und lächerlichsten) Regeln ist jedoch, auf Facebook und SMS-Nachrichten erst mindestens vier Stunden später zu antworten und die Antwort kürzer als die vorherige Nachricht ausfallen zu lassen. Unsere SMS-Verläufe sahen in etwa so aus:

J: Was machst du?
M (vier Stunden später): Ich lerne.
J: Was?
M: BWL

Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass ich noch nie in meinem Leben BWL gelernt habe, aber es ist wohl das einzige Fach, das weniger Buchstaben als „Was?“ hat. So ging es eine Zeit lang hin und her, bis der Kontakt zwischen uns allmählich sein Ende fand.

Vor zwei Wochen schließlich habe ich Johannes beim Ausgehen getroffen, was mir diese ganze wirre Geschichte wieder in Gedanken rief. Wir kamen ins Gespräch und Johannes kaufte mir ein Bier (ich hoffte insgeheim, die Unterhaltung so lange führen zu können, bis er mir auch Mozzarella Sticks kaufte). Während ich daran nippte, lamentierte ich, wie schade es doch war, dass wir einander aus den Augen verloren hatten. „Um ehrlich zu sein,“ konterte Johannes, „hatte ich das Gefühl, dass du kein Interesse an mir hattest. Du warst gegen Ende irgendwie kühl und schnippisch.“ - BÄM! Und da haben wir‘s! Sobald ich an jenem Abend nach Hause kam, warf ich „The Rules“ ganz dramatisch in den Abfalleimer. Ich hatte meine Lektion gelernt: Auch wenn es sich manchmal ganz verlockend anhört, kann man Menschen nunmal nicht wie Maschinen behandeln und sich erwarten, dass alle Personen nach dem gleichen Schema funktionieren. Schade nur, dass ich ein dummes Selbsthilfebuch gebraucht habe, um zu dieser Erkenntnis zu kommen.

Wer möchte, kann in den Kommentaren seine Meinung zu Dating-Regeln teilen, sollte aber sicherheitshalber mindestens vier Stunden warten.

Facebook, wiedermal

Jodie Fosters Golden Globe Rede, sowie ein fataler All-You-Can-Eat-Ausflug bringen Michael dazu, seine Facbook- und Twitter-Abhängigkeit nocheinmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Vor ein paar Tagen traf ich mich mit Freunden beim All-You-Can-Eat-Buffet zum Abendessen. Weil wir im Dezember alle viel zu tun hatten, war es unser erstes Treffen seit zwei Monaten und ich konnte es kaum erwarten, neue Geschichten aus dem Leben meiner Mitmenschen zu hören (und so viel Fleisch zu essen, wie auf meinen Teller passte). Sobald wir uns alle begrüßt, niedergesetzt und Essen gefasst hatten, brach ich das Eis und fing an, aus meinem Leben zu erzählen: Ich sprach von meiner Berlinreise, Silvester in Paris und der Tatsache, dass ich Anfang Januar ein bisschen deprimiert war. Meine Freunde sahen mich ausdruckslos an. Was war bloß los? War ihnen aufgefallen, dass ich vorhin ein paar Spareribs in meine Tasche hatte wandern lassen (für „den kleinen Hunger zwischendurch“)? Schließlich meldete sich mein Kumpel Daniel zu Wort: „Ja, Michael, wir wissen das alles schon. Wir sind auf Facebook mit dir befreundet, folgen dir auf Twitter und lesen deine Kolumnen. Hat sich auch was getan, was du nicht im Internet dokumentiert hast?“ Oh. Ja, der Slogan von Facebook lautet „Stay connected“, aber so wie ich das mache, könnte er genau so gut „Hör auf! Du übertreibst es! STOPPE DIESEN WAHNSINN!“ lauten. Während mir also meine Freunde wiederum aus ihrem Leben erzählten, konnte ich mich nicht davon abhalten, geknickt in Gedanken zu versinken.

Wie viele von euch sicherlich wissen, hat Jodie Foster eine ergreifende Rede bei den Golden Globes gehalten. Vielleicht mache ich mich unbeliebt, aber um ehrlich zu sein fand ich Ms. Fosters Ansprache ein bisschen wirr: Die Schauspielerin sprach ein bisschen so über ihre Mutter, als wäre diese längst tot (dabei lebt sie noch), kündigte an, sich aus dem Showbusiness zurückzuziehen (nur um es Backstage wieder zu dementieren) und hat mehrere Male grundlos „I‘M FIFTY!“ geschrien. Ja, ich halte auch manchmal wirre Ansprachen, aber wenn ich es tue, wird das nicht als „inspirierend“ bezeichnet, sondern mir allerhöchstens ein Taxi nach Hause gerufen. Aber Spaß beiseite, denn ein Satz, den Jodie Foster von sich gegeben hat, hat für mich dennoch sehr viel Sinn ergeben: Sie appellierte gegen die Paparazzi-Kultur, gegen Reality-Shows und gegen die generelle mediale Überexposition. Es gibt so viele Menschen, die sich nach Privatsphäre sehnen und dennoch existieren Personen wie ich und unzählige andere, die jedes Detail ihres Lebens auf Facebook, Twitter oder Instagram teilen. All dies passiert unter dem Deckmantel des „Social Networking“, doch spätestens bei dem Abendessen mit meinen Freunden warf sich mir die Frage auf, die mich nicht mehr loslassen sollte: Bleibe ich meinen Freunden durch Facebook und co. tatsächlich verbunden, oder bewege ich mich immer weiter weg von ihnen?

Natürlich bin ich vorsichtig: In meinen Kolumnen verbiege ich Tatsachen, schreibe selten über meine Familie und andere Menschen, die ich wirklich gerne habe und ändere stets alle Namen, wodurch auch der Eindruck entsteht, als hätte ich unheimlich viele Freunde, obwohl „Daniel“, „Anton“ und „Wolfgang“ ein und dieselbe Person sind. Neuen Bekanntschaften und Dates verschweige ich zudem stets, dass ich manchmal im Internet mein Geld verdiene, denn die Erfahrung lehrte mir, dass „Michael Buchinger“ googlen einfach der größte Cockblock aller Zeiten ist. Trotz allem kann ich nicht anders, als mir wie der größte Heuchler aller Zeiten vorzukommen: In der Blüte meiner Jugend habe ich ein Video gemacht, das zeigen sollte, wie oberflächlich und unpersönlich Facebook sein kann, doch zwei Jahre später stellt sich der Sketch als self-fulfilling prophecy heraus und ich bin am besten Weg, zu eine dieser Personen zu werden, die jedes Detail ihres Alltags auf Facebook teilen, während sie vergessen, am realen Leben teilzuhaben. (Fun Fact: Wer genau hinsieht, wird merken, dass mein Hosenstall offen ist. Da habe ich einmal nicht nach unten geschaut und DAS wird dann natürlich mein beliebtestes Video. Story of my life...)

Als ich an jenem Abend mit meinen Freunden im Restaurant saß und Geschichten lauschte, die sie im Gegensatz zu mir nicht mit aller Welt im Internet geteilt hatten, fasste ich kurzerhand den Entschluss, mich aus der Facebook-Falle zu befreien und in Zukunft mehr Wert auf echte soziale Interaktionen, anstatt auf „Gefällt Mir!“-Angaben und Retweets zu legen. Ein guter Vorsatz, wie ich finde! Ich könnte an dieser Stelle einen auf Jodie Foster machen, meiner „toten“ Mutter danken und dann ankündigen, dass ich mich aus dem Internet zurückziehe, nur um des dann wieder zu dementieren, aber das scheint mir ein wenig dramatisch. Stattdessen werde ich einfach versuchen, die Balance zwischen „guter Freund im realen Leben“ und „merkwürdige Person ohne Schamgefühl im Internet“ zu finden und wünsche all meinen Lesern, dass sie ebenfalls nicht im Internet-Sumpf versinken. Wünscht mir Glück! Wenn ihr mich jetzt entschuldigt: es gibt noch eine ganze Tasche voll von alten Spareribs, die darauf wartet, von mir verzehrt zu werden.

PS: I‘M FIFTY!

Depression

Wie so viele Menschen zu dieser Jahreszeit leidet Michael unter dem Januar-Blues und nicht einmal ein Ausflug in den Sex-Shop hilft dabei, diesen zu überwinden.

Viele Leser dürften mittlerweile wissen, dass ich in der Regel ein relativ gut gelaunter Mensch bin, der allerhöchstens sein sonniges Gemüt verliert, wenn jemand die Worte „Ich finde die Glee-Version war besser!“ murmelt (die Glee-Version wird NIEMALS besser sein!). Umso mehr mag es überraschen, dass ich Anfang Januar immer furchtbar deprimiert bin. Während andere Leute wohl mit aufgefrischter Lebensenergie an einem gesunden Salat knabbern, grenzt mein momentanes Verhalten in Sachen Sonderbarkeit ein bisschen an die alte Frau aus der U-Bahn, die grundlos Sätze wie „Das ist MEIN Blumenkohl!“ schrie. Die gesamte letzte Woche habe ich zum Beispiel damit verbracht, auf meiner Ausziehcouch zu lümmeln und Trash-TV zu schauen. Ich hatte kaum sozialen Kontakt zu anderen Menschen, bei dem das Gespräch nicht mit „Vielleicht noch eine Apfeltasche dazu?“ endete. Am Dienstag habe ich gar nicht das Haus verlassen, weil ich mir einbildete, mein rechtes Auge sei an dem Tag disproportional klein gewesen. Das Schlimmste: Diese generelle Unlust, an meinem regulären Leben teilzuhaben wiederholt sich Jahr für Jahr zu annähernd der gleichen Jahreszeit. Dies stellt mich vor ein großes Rätsel: Was hat es mit dem Januar-Fluch auf sich und wie kann ich ihn brechen?

Wie immer, wenn mein eigenes Wissen nicht ganz ausreicht (was oft der Fall ist, weil ich nämlich bis vor Kurzem noch glaubte, James Cameron - der Regisseur von „Titanic“ - sei auch Premierminister des Vereinigten Königreichs), zog ich Google zu Rate. Und siehe da: Down-Phasen im Januar sind scheinbar ziemlich weit verbreitet; Wissenschafter haben sogar herausgefunden, dass der 24. Januar der deprimierendste Tag des Jahres ist. Irgendwie verstehe ich es ja, immerhin ist der gesamte Januar ein bisschen so wie der Tag nach einer großen Party (in diesem Fall Dezember), an dem wir nur mit dem Kopf in der Kloschüssel hängen. Forschungen zeigen, dass die Kälte und das Defizit an Sonnenlicht viele Menschen dazu bewegt, sich bis zu 15 Stunden am Tag zuhause zu verschanzen und dass zwei Drittel aller Paare sich zu dieser Jahreszeit trennen (was mich ein bisschen freut, weil mein Körper Endorphine ausschüttet, wenn glückliche Paare sich trennen). Natürlich finde ich es irgendwie befreiend, dass andere Leute ebenfalls unter dem Neujahrs-Trott leiden, allerdings ändert das nichts an meiner Misere, sondern trägt vielmehr dazu bei: Was müssen wir tun, um diese schlechte Stimmung zu überwinden?

Diverse Webseiten und Ratgeber schlugen vor, dass gesunde Ernährung und viel Bewegung der Schlüssel zu körperlicher und geistiger Revitalisierung wären. Diese sicherlich gut gemeinten Ratschläge haben aber allerhöchsten dazu geführt, dass ich meinem Laptop laut die Worte „DU BIST NICHT MEINE MUTTER!“ entgegenschrie und beschloss, stattdessen auf eine altbekannte Methode meine Stimmung zu heben. Okay, nennt mich merkwürdig, aber als ich noch ein bisschen jünger war und am Land wohnte, hat mich in eigenartigen und leicht deprimierten Zeiten kaum etwas in eine bessere Laune versetzt, als einen Ausflug in den Sex-Shop zu unternehmen. Ich kann dieses Phänomen am ehesten damit erklären, dass ein Sex-Shop am Land (aus welchem Grund auch immer) der traurigste Ort aller Zeiten ist - ich war meistens der einzige Besucher, der ein vollständiges Gebiss hatte. Natürlich ist es ein billiger Trick (und erinnert ein bisschen an die Tournee, bei der Britney Spears ausschließlich pummelige Tänzerinnen hatte, um im Vergleich dünner zu wirken), aber in traurigen Phasen an einen noch traurigeren Ort zu gehen, half mir irgendwie: Es war meist inmitten von Dildos und Peitschen, dass ich zu dem Entschluss kam, dass mein Leben vielleicht doch gar nicht so schlecht war.

Lasst mich euch sagen, dass es keine gute Idee ist, bei schlechter Laune in einen Wiener Sex-Shop zu gehen. Ich weiß nicht, warum, aber in der großen Stadt grenzt ein solches Etablissement geradezu an Disneyland. Schon als ich eintrat, kam mir die fröhliche Musik von Mika entgegen und dann musste ich feststellen, dass alle übrigen Besucher nicht nur relativ gepflegt und attraktiv waren, sondern auch noch all ihre Zähne, sowie (im Gegensatz zu mir) gleich große Augen hatten. Selbst jene Leute, die in der SM-Abteilung lungerten, schienen annähernd normal und fröhlich - man könnte sogar behaupten, ich wäre die merkwürdigste Person im Peitschen-Paradies gewesen (das ist mal was für den Lebenslauf!). Geknickt beschloss ich, Interesse an Lustkugeln vorzutäuschen, bis die richtigen Weirdos alle aus ihrem Versteck kamen, wie Clowns aus einem kleinen Auto. Doch das lange Warten blieb erfolglos und spätestens, als ich eine Frau erblickte, die Pornotitel durchsah, während sie einen Kinderwagen vor sich herschob, schleuderte ich die Lustkugeln zurück ins Regal und gab mich geschlagen. Dieser Sex-Shop war eindeutig zu normal und ich war eindeutig zu eigenartig.

Bedrückt zog ich mich wieder auf mein Sofa zurück und beschloss, mit meinem Trash-TV-Marathon weiterzumachen. Diesmal am Start: „Liz & Dick“; der tragische Made-For-TV-Film in dem Lindsay Lohan Elizabeth Taylor verkörpert. Zu behaupten, dass dieser Streifen wie ein Autounfall sei, von dem man einfach nicht wegsehen könne, wäre eine Untertreibung. Nein, ich finde, dass der Vergleich in diesem Fall sogar neu definiert werden muss: Das nächste Mal, wenn ich einen Autounfall sehe, werde ich stehenbleiben, aussteigen und sagen „Das ist ja wie ,Liz & Dick‘!“. Auch wenn es vielleicht fies klingt, aber: Lindsay Lohan dabei zuzusehen, wie sie Gläser gegen die Wand schmeißt und in Ohnmacht fällt, während sie versucht, all ihre Kinne hinter einem Rollkragenpulli zu verstecken, brachte mich zum ersten Mal in dieser Woche richtig zum Lachen. Und ich schöpfte Hoffnung: Ich wusste zwar noch nicht ganz wie, aber wenn Elizabeth Taylor das Jahr 1964 und Lindsay Lohan das Jahr 2012 überstehen konnte, dann würde ich das sicherlich auch mit dem Januar schaffen.

Eure Hilfe ist gefragt! Was tut ihr, um über schlechte Laune zu siegen?

Paris

Weil er einen tiefen, unbegründeten Hass für Silvester empfindet, beschließt Michael kurzerhand, den Jahreswechsel mit mürrischen Franzosen und Unmengen an Backwaren zu verbringen.

Ich kann gar nicht anfangen zu beschreiben, wie sehr ich Silvester hasse. Während dieser Tag den langweiligeren Menschen der Welt als Freipass dient, einmal im Jahr mal so richtig „crazy" sein zu dürfen (langweilige Leute lieben dieses Wort!) verläuft mein Silvester fast immer gleich: Deprimiert, keinen mir von der Filmindustrie als notwendig vermittelten Mitternachts-Kuss bekommen zu haben, betrinke ich mich meist im großen Stil und mache dann gegen 4 Uhr morgens mit einer alten Flamme auf der Herrentoilette herum, bevor ich mich im Taxi nach Hause (auf welches ich, nebenbei bemerkt, eine Stunde lang warten muss) in den Ärmel meines eigenen Mantels übergebe, um etwaigen Reinigungskosten vorzubeugen. Da es sich dabei wohl kaum um den besten und progressivsten (BÄM!) Weg handelt, ein neues Jahr einzuläuten, versuche seit mehreren Jahren, Silvester so gut wie möglich zu ignorieren (und schicke gerne mal Hass-Post an die gesamte Besetzung des Filmes „Happy New Year"). Als meine Eltern mir dieses Jahr also vorschlugen, zum Jahreswechsel nach Paris zu fliegen, war ich sofort begeistert. Denn wo könnte ich besser Silvester hassen, als bei den Franzosen, die ohnehin alles und jeden hassen?

Ich kann nicht wirklich mit einer triftigen Erklärung für meine Frankophilie dienen. Wie kann man eine Stadt an mürrischen, aber zugleich herzlichen Menschen, die es okay finden, um 9 Uhr Morgens ein Glas Weißwein zu trinken, nicht immer wieder besuchen wollen?Besonders in Erinnerung bleibt mir der Schulausflug in die französische Hauptstadt, auf dem ich von Verstopfung geplagt war. Mit gebrochenem Französisch wagte ich mich in die nächste Apotheke und bestellte ein Abführmittel. „Nimm ruhig gleich zwei davon!", rief mir der Apotheker, auf dessen Namensschild wahrscheinlich „Satan" stand, hinterher. Gesagt, getan! In jenem Urlaub entstanden unzählige Fotos, auf denen ich mit schmerzgeplagter Miene vor dem Eiffelturm stehe und mir panisch an den Bauch greife. Ein anderes Mal bin ich in der Blüte meiner Jugend völlig alleine nach Paris geflogen, um die Stadt der Liebe auf eigene Faust zu erkunden (das könnte sehr gut die traurigste Aussage aller Zeiten sein). An meinem letzten Tag habe ich einem Obdachlosen dabei geholfen, den Weg zur nächsten U-Bahn-Station zu finden. Als wir schließlich gemeinsam bei der Metro ankamen, zeigte der Mann seine Dankbarkeit, indem er mich enthusiastisch küsste. Seien es nun Apotheker, die mich töten wollen oder romantische Obdachlose: Paris ist jedes Mal erneut ein großer Spaß.

Und auch bei meiner Silvester-Reise der vergangenen Woche wusste die Stadt erneut zu begeistern: Obwohl meine Eltern und ich unsere Tage fast nur mit ewig langen Spaziergängen bei angenehmem Klima und vereinzelten Zwischenstopps in Bäckereien verbrachten, fühlte ich mich am verhassten 31. Dezember dennoch viel wohler, als es in den Jahren zuvor der Fall gewesen war. Ich verspürte nicht einmal im geringsten das Verlangen, einen Hundewelpen zu treten (und selbst wenn: Wo, wenn nicht in Paris, wäre das sozial akzeptabel?). Und weil es mir schon so gut ging, beschloss ich schließlich, meine Stärke zu testen und auf Facebook nachzusehen, was meine Freunde an jenem Tag so geplant hatten. Eigentlich hätte ich ja wissen müssen, dass das ein bisschen so ist, wie wenn ein ehemaliger Alkoholiker verkündet, er wolle „der alten Zeiten Willen" nur kurz ein Schlückchen Rotwein genießen. Denn beim Anblick all der lustigen Partyfotos auf meiner Timeline brach zugleich ein innerer Konflikt in mir aus: Ich hatte das Gefühl, als würden wie in einem Cartoon Engel und Teufel auf meiner Schulter sitzen.

„Oh, sieh dir an, wie viel Spaß heute alle haben! Es ist die beste Party des Jahres. Und sowas lässt du dir entgehen?"
„Nein, sie machen sich etwas vor! Silvester ist ein Tag wie jeder andere!"
„Aber sie essen Fondue. Du liebst doch Käse!"
„Ich kann an jedem anderen Tag des Jahres Fondue essen, wenn ich will."
„Aber sie tragen Partyhüte! All deine Freunde stoßen gemeinsam auf ein gelungenes Jahr an, nur du bist nicht dabei! Du bist so langweilig. Bestimmt fällt ihnen gar nicht auf, dass du nicht da bist. Sie glauben, die Stehlampe im Eck bist du."

Urplötzlich spürte ich das Verlangen, mir einen Partyhut, sowie eine bescheuerte Brille in 2013-Form zu kaufen, „Happy New Year" anzusehen, und immer dann feierlich in meine Tröte zu pusten, wenn sich im Film jemand küsst. Stattdessen klappte ich mein Notebook zu und beschloss, auf die Straßen von Paris zu flüchten, bevor mich der Silvester-Hype weiter einsaugen konnte. Und es funktionierte tatsächlich: Vielleicht war ich im falschen Teil der Stadt, aber Silvester auf den Straßen von Paris zu verbringen ist ein bisschen so, als würde mir ein Partner im Bett die „totale Kontrolle" überlassen - nichts passiert und ich lege mich schlafen! Niemand startete einen Countdown und auch nach Feuerwerken hielt man vergeblich Ausschau - hätte ich nicht SMSen aus der Heimat erhalten, wäre mir auch kaum aufgefallen, dass wir soeben einen Jahreswechsel hinter uns gebracht hatten. Ha. Vielleicht war Silvester doch nur ein Tag wie jeder andere. Erheitert von dieser Erkenntnis zog ich noch ein bisschen um die Häuserblocks und legte mich dann zufrieden ins Bett.

Möge 2013 ein progressives Jahr werden, in dem ich kein einziges Mal in meinen Mantelärmel kotze!